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Am nächsten Wochenende beginnt in Lillehammer die diesjährige Weltcup-Saison. Letztes Jahr verlief der Auftakt für die deutschen Damen direkt grandios, und er war – wie Cheftrainer Heinz Kuttin heute sagt – der „Knochenbrecher“ für eine erfolgreiche Wintersaison. Dennoch wurde die Vorbereitung dieses Mal bewusst etwas anders gesteuert. Im Interview verrät er uns, was das Ziel dahinter ist und äußert sich auch zur Materialumstellung infolge der vielen schweren Stürze während des Sommer-Grand-Prix.

Der Sieg im Mixed-Wettbewerb am Freitag, danach am Samstag die Plätze zwei und drei für Katharina Schmid und Selina Freitag im Einzel und anschließend noch einmal am Sonntag ein Doppelsieg im Einzel (Katharina Schmid gewann vor Selina Freitag) – ein Auftakt nach Maß für die deutschen Damen im letzten Winter in Lillehammer. Daher stellt sich die Frage, ob wir direkt zum Start wieder einen solchen „Knochenbrecher“ erwarten dürfen. Cheftrainer Heinz Kuttin dämpft allerdings die Erwartungen für den Weltcupstart etwas.

Skispringen-News.de: „Heinz, wie fällt die Analyse zum letzten Sommer-Grand-Prix in Klingenthal sowie zur bisherigen Vorbereitung bei den deutschen Damen aus?“

Heinz Kuttin: „Durchwachsen, sage ich jetzt einmal. Durchwachsen deswegen, weil wir sehr viel gearbeitet haben. Wir haben in letzter Zeit natürlich durch die ganze Materialumstellung erneut viel Fokus auf diesen Bereich gelegt. Wir haben im September noch einmal einen richtigen Konditionsblock gemacht. Das heißt: Wir wissen, dass wir jetzt noch nicht in Hochform sind. Aber unser Team ist gut aufgestellt. Wir haben wirklich sieben Athletinnen, die jederzeit um Punkte springen können. Wir haben aber gesehen, dass die Sprünge noch nicht hundertprozentig laufen – und das ist notwendig, um ganz vorne dabei zu sein. Hier in Klingenthal sind jetzt drei in den Top Ten gewesen. Das ist sehr vielversprechend und ich bin mir sicher, dass wir, wenn wir dann in Lillehammer am Start stehen und noch einmal die notwendige Ruhe haben – mit dem letzten Lehrgang auf Zypern, wo wir Energie tanken –, wirklich gut aufgestellt sind.“

Skispringen-News.de: „Ist es dieses Mal auch eine etwas andere Art der Vorbereitung im Vergleich zu den vergangenen Jahren, weil später im Jahr noch Olympia ansteht?“

Heinz Kuttin: „Logisch hat jeder den Fokus auf Olympia. Grundsätzlich haben wir ein paar Dinge gegenüber dem letzten Jahr geändert. Wir waren am Anfang top in Form, und das wollten wir dieses Mal ein bisschen verzögern. Deswegen haben wir im Herbst den Block noch einmal etwas länger gezogen. Und dann kam das Thema Material dazu. Das war leider keine schöne Sache, weil es viele Verletzungen gab und die Mädels sehr viel diskutiert haben. Der Fokus lag plötzlich ganz woanders. Das hat uns sicher etwas durcheinandergebracht – wie viele andere Nationen wahrscheinlich auch. Aber jetzt passt es gut. Ich sehe das nicht als Problem, sondern ganz im Gegenteil: Es motiviert uns noch einmal, genau und akribisch zu arbeiten und Ruhe zu bewahren.“

Skispringen-News.de: „Wie schwer ist es, auf Athletinnen mit Kniebeschwerden wie Agnes Reisch Rücksicht zu nehmen? Gibt es eine eigene Belastungssteuerung? Auch Anna Hollandt hat erzählt, dass sie zuletzt Kniebeschwerden hatte. Wie könnt ihr das im Training steuern?“

Heinz Kuttin: „Das kannst du nur über das Gefühl der Athletinnen richtig gut steuern, wenn ‘Wehwehchen’ auftreten – ich sage das bewusst unter Anführungszeichen, denn das sind ja wirkliche Schmerzen. Bei Anna ist es ein anderes Schmerzbild als bei Agnes, aber sie haben alle ihre Vorgeschichte. Deswegen habe ich ein individuelles Programm und mache das mit jeder Athletin einzeln. Ich gebe den Athletinnen mehr Entscheidungsfreiheit bei den Fragen: Kann ich heute gut trainieren? Bin ich heute so fit, dass ich Kraft- oder Sprungtraining machen kann? Das versuchen wir möglichst gut zu steuern. Und jede Athletin im Team hat dafür Verständnis – und das ist ganz, ganz wichtig. Am Ende der Saison können wir dann sagen: Wir haben vieles richtig gemacht oder es waren doch ein paar Fehler dabei.“

Skispringen-News.de: „Ist es generell schwierig, wenn man Anzüge erst enger macht und dann wieder etwas weiter? Wäre es wichtig, da endlich Kontinuität reinzubringen?“

Heinz Kuttin: „Ja, das stimmt. Aber Gott sei Dank ist jetzt der Schritt gemacht worden und die FIS sowie die Gremien haben es auch so gesehen. Wir haben von Anfang an gesagt: Die Sprünge werden schneller und der Impact bei der Landung wird größer. Aber man hat zugeschaut, und das mit Predazzo war wirklich nicht schön. Da sind drei Top-Athletinnen schwer gestürzt, eine bereits in Courchevel – also vier Athletinnen, die Medaillenchancen hatten, sind jetzt raus. Jede Verletzung ist eine zu viel. Wenn man sieht, dass schon 2014 diese Entscheidungen mit den engeren Anzügen zu vielen Verletzungen geführt haben, und man jetzt wieder denselben Fehler macht – das ist aus sportlicher Sicht unverständlich. Jetzt ist es Gott sei Dank wieder weg. Klar, wir arbeiten daran, das optimale Setup zu finden. Wir sind noch nicht dort, wie man gesehen hat. Die Sprünge sind noch nicht hundertprozentig. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir vorne mitspringen können.“

Skispringen-News.de: „Heute in Klingenthal hat es die Kanadierin Abigail Strate erwischt, die disqualifiziert wurde. Ist das einfach so einzuordnen, dass jeder trotzdem versucht, bis ans Limit zu gehen?“

Heinz Kuttin: „Nein, das sind Kleinigkeiten. Da geht es um die Hüfte, und man weiß, wie schnell das geht. Man trinkt halt ein bisschen weniger oder fühlt sich nicht so wohl, dann hat man gleich mal ein, zwei Zentimeter zu wenig Umfang oder der Anzug wird zu groß. Das sind Kleinigkeiten. Die Ursache, warum jetzt so genau kontrolliert wird, wissen wir alle, liegt ganz woanders. Ich hoffe, dass das im Winter rhythmisch wird und dass da nicht zu viel passiert.“

Skispringen-News.de: „Wenn wie vorhin die Wartezeit bis zur Siegerehrung extrem lange wird, ist das ja auch schwierig für die Zuschauer. Aber trotzdem sagst du, das müssen wir so machen, damit einfach eine Art ‚Gerechtigkeit‘ wiederhergestellt wird?“

Heinz Kuttin: „Ja, also ich unterstütze diese guten Kontrollen, die jetzt gemacht werden. Ich glaube, speziell im Damensport sind letztes Jahr die Kontrollen am Anfang richtig gut geworden, und dann ist es im Laufe der Saison ein bisschen ausgeufert, was man beobachtet hat. Es ist ganz etwas anderes als das, was bei den Männern passiert ist, speziell in Norwegen. Dass ein Anzug ein bisschen zu groß ist, wird es weiterhin geben, weil man durch Tagesform etc. mal, wie gesagt, ein bisschen weniger Umfang hat. Oder man hat nicht gut gefrühstückt oder der Tag dauert lange. Dann geht das schnell.“

Skispringen-News.de: „Wie zufrieden bist du derzeit mit Selina Freitag, die wieder einen starken Eindruck hinterlässt?“

Heinz Kuttin: „Selina ist die Einzige, die jetzt richtig konstant gut gesprungen ist und die mit diesen ganzen Änderungen am besten umgehen konnte. Also wenn sie ihren Fluss und ihren Rhythmus hat und den Sprung richtig rotieren kann über den Vorbau, dann glaube ich, kann sie ganz vorne mitspringen und um Podiumsplätze kämpfen. Eine gute Entwicklung hat sie auch bei der Landung gemacht: Landeanflug, Landung – da hat sie richtig gut gearbeitet. Und vor allem hat sie sich immer mehr überwunden, den Schritt zu machen, in Richtung Hillsize zu springen mit Telemark. Also bin ich zuversichtlich, weil das letztes Jahr auf einmal der Fall war, dass sie da leider ein paar Wettkämpfe nicht ganz so durchgezogen hat.“

Skispringen-News.de: „Und jetzt, wo die Anzüge wieder ein bisschen weiter sind, kommt ihr dabei sicherlich auch entgegen, dass man wieder mit weniger Geschwindigkeit zur Landung kommt?“

Heinz Kuttin: „Ja, genau. Es kommt jeder Athletin entgegen, weil der Impact etwas kleiner wird. Es geht gar nicht so um die Geschwindigkeit, sondern einfach um die Flugkurve, die für die Athletinnen entsteht, und sie können deswegen auch wieder weiter mit Telemark springen.“

Skispringen-News.de: „Dankeschön und viel Erfolg für den Auftakt in die neue Saison!“

Heinz Kuttin: „Danke auch.“

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