„Wir wollen die wichtigste Skisprungnation der Welt sein!“ So lautet das selbstgewählte Motto des norwegischen Skiverbands seit einiger Zeit. Doch nun werden große Sorgen laut. Drastische Einschnitte im Budget veranlassen Cheftrainer Alexander Stöckl gar dazu, vor einer ähnlichen Entwicklung wie in Finnland zu warnen.
Norwegens Sportdirektor Clas Brede Bråthen ist ein Mann der klaren Worte. Unlängst positionierte er sich in der Debatte um das Frauen-Skifliegen. Nun spricht er von einer „sehr dramatischen Situation“ und bangt um das in den letzten Jahren aufgebaute Skisprung-Knowhow. Wie ungewiss ist die Zukunft des norwegischen Skispringens tatsächlich?
Wie der norwegische Rundfunk (NRK) berichtet, fuhr der Skiverband im letzten Jahr ein Defizit von rund 1,2 Mio. Euro ein – fast die Hälfte davon ist im Bereich Skisprung entstanden. Dies ist auch auf eine gescheiterte Partnerschaft mit dem chinesischen Skiverband in Vorbereitung auf die olympischen Spiele in Peking 2022 zurückzuführen. Nach etwa einem Jahr Ausbildung unter norwegischer Leitung reiste die Skisprungdelegation aus China in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ab. Unter Vermittlung der FIS-Generalsekretärin Sarah Lewis floss zwar Geld, dennoch hinterließ das Projekt eine große Lücke im Budget. Geld, das nun im eigenen Nachwuchsbereich fehle, so Bråthen gegenüber TV2.
Kann sich der Skiverband überhaupt noch einen B-Kader leisten?
Die finanziellen Möglichkeiten sind darüber hinaus durch den Rückzug eines wichtigen Sponsors kurz vor Beginn der Saison eingeschränkt. Und nun kommen noch völlig ungeplante Verluste aus dem coronabedingten Abbruch der Raw-Air-Tournee hinzu. Im Raum stehen daher notwendige finanzielle Kürzungen in Höhe von 30 Prozent. Statt 2,8 Mio. Euro würden dann nur noch rund 2 Mio. Euro zur Verfügung stehen. „Wir müssen es verhindern, dass wir einen Großteil unserer Skisprungexpertise an unsere Konkurrenten verlieren. Wir arbeiten Tag und Nacht mit dem Skiverband daran, Lösungen zu finden, mit denen wir leben können“, äußert sich Clas Brede Bråthen im Gespräch mit NRK.
Noch ist unklar, wie diese Lösungen konkret aussehen werden. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im gesamten Skiverband wurden im April bereits beurlaubt. In Bezug auf den Skisprungstab spekuliert die Tageszeitung Dagbladet, dass im schlimmsten Fall die Hälfte der 24 Angestellten um ihren Job bangen müsse. Trainer Alexander Stöckl fürchtet, dass die Existenz des B-Teams auf dem Spiel steht, und stellt sich auf einen reduzierten A-Kader ein. Diesem würden dann nur noch fünf oder sechs statt acht Springer angehören. Auch die Zahl der Lehrgänge soll wohl reduziert werden.
Stöckl sieht Parallelen zu Finnland
Der 46-Jährige möchte zwar positiv in die Zukunft blicken, weiß aber auch um die Gefahren in solch einer finanziell angespannten Situation: „Wir haben diese Anzeichen auch in Finnland gesehen: Trainer gingen ins Ausland, die Athleten und Wettkämpfe wurden weniger, was wiederum geringere Einnahmen bedeutet. Die Entwicklung kann sehr schnell gehen“, so Stöckl zu NRK.
In der nächsten Woche sollen die endgültigen Budgets festgelegt werden. Auf dieser Grundlage wird dann auch über die Zusammensetzung der Mannschaften entschieden.
Quellen: NRK, Dagbladet, TV2