Der Saisonstart steht vor der Tür und schon bald werden wir sehen, wer die Dominatoren der Saison 2022/23 werden können. Gelingt es einem Springer, Ryoyu Kobayshi vom Thron zu stoßen oder gelingt es erstmals seit Janne Ahonen 2004/05 wieder einem Springer, den Gesamt-Weltcup zu verteidigen. Der Fokus der Top-Springer wird sicherlich aber auch speziell auf der Tournee und der WM in Planica liegen. Wir stellen die Athleten im Schnelldurchlauf vor, die als Favoriten in die Saison gegen.

Ryoyu Kobayashi

Als amtierender Weltcup-Gesamtsieger, Tourneesieger und Olympia-Goldgewinner zählt Ryoyu Kobayashi natürlich auch in der kommenden Saison zu den absoluten Top-Favoriten. Der 25-jährige Japaner war in den letzten drei, vier Jahren sicherlich der in Summe stärkste Springer. Wenig deutet darauf hin, dass sich das in der kommenden Saison ändern könnte. Kobayashi wurde beim abschließenden Sommer-Grand-Prix in Klingenthal lediglich von Dawid Kubacki geschlagen, der sich im Sommer jedoch auch in einer Überform präsentierte. Der zweimalige Gesamt- und Tourneesieger beherrscht alle Schanzen, alle Bedingungen und agiert konstant auf Weltklasse-Niveau. Keiner ist nach dem Absprung so schnell in der passenden Flugposition wie der Japaner. Trotz der starken Kubacki-Leistungen im Sommer ist Kobayashi der Mann, den es zu schlagen gilt. Dieser wird insbesondere auf die WM in Planica heiß sein. Trotz all seiner großen Siege, hat der Dominator der letzten Jahre noch keine WM-Medaille gewinnen können.

Marius Lindvik

Marius Lindvik ist aus der Weltspitze nicht mehr wegzudenken und hat seine Qualitäten in der vergangenen Saison insbesondere in den entscheidenden Momenten auf die Schanze gebracht. Mit dem Olympiasieg von der Großchance und dem WM-Titel im Skifliegen konnte der Norweger gleich zwei gewaltige Erfolge binnen kurzer Zeit erzielen. Bekommt Lindvik seine Technik auf die Schanze, ist er selbst für Kobayashi in Top-Form schwer zu bezwingen. Das beste Beispiel dafür ist sein Olympiasieg von der Großschanze, bei dem er den Japaner mit einem grandiosen zweiten Sprung noch überflügelte. Der Weltcup-Dritte der vergangenen Saison ist aber auch ein Athlet, der seine Form über Nacht verlieren oder finden kann. Demnach muss man ein Fragezeichen daran setzen, ob er sein Niveau über den ganzen Winter abrufen kann. Insbesondere vom Saisonbeginn bis zum Tournee-Start lief es für den Norweger in den vergangenen Jahren oft nicht ganz so gut. Hierbei gehen schnell wertvolle Punkte für die Gesamtwertung verloren. Nach Rang neun in Klingenthal und Silber bei den Meisterschaften, scheint seine Form in Ordnung zu sein. Trotzdem ist Lindvik eher ein Kandidat für die Tournee oder die WM, als für den Gesamt-Weltcup.

Halvor-Egner Granerud

Ähnlich wie Lindvik ist auch Granerud nur schwer zu bezwingen, wenn er seine Sachen beisammen hat. Die Saison 2020/21 hat der Norweger auf beeindruckende Art und Weise dominiert. In der vergangenen Saison reichte es dann “nur“ für den vierten Gesamtrang, was jedoch beachtlich ist, wenn man bedenkt, dass Granerud beinahe die ganze Saison mit einem klaren technischen Fehler zu kämpfen hatte. Der Norweger sprang enorm einseitig ab und flog dadurch oft gefährlich weit auf die rechte Seite. Sollte er diesen Fehler beheben können, ist Granerud alles zuzutrauen. Danach sieht es aktuell aber noch nicht so ganz aus. Rang acht beim SGP in Klingenthal war zwar solide, bei den Norwegischen Meisterschaften blieb er jedoch klar hinter Tande und Lindvik zurück. Es wäre eher eine Überraschung, wenn Granderud von Beginn an regelmäßig auf das Podium springt, auf dem Zettel muss man ihn aber natürlich immer haben.

Daniel André Tande

Nach seinem schweren Sturz in Planica hat Daniel André Tande die Saison 2021/22 dazu benutzt, wieder Vertrauen zu fassen. Dies gelang ihm punktuell auch schon ganz gut, wie sein Sieg in Oslo beweist. Nun schickt sich der Norweger jedoch dazu an, wieder dauerhaft in der Weltspitze mit zu springen. Dies war ihm streng genommen zum letzten Mal in der Saison 2017/18 gelungen, in der er auch Skiflug-Weltmeister wurde. Vieles deutet darauf hin, dass Tande in der kommenden Saison wieder weit springen und fliegen kann. Mit Rang drei in Klingenthal und dem norwegischen Meistertitel hat sich der 28-Jährige in einer glänzenden Herbstform präsentiert. Für die ersten Springen ist Tande wohl sogar die größte norwegische Trumpfkarte. Ob Tande dann wirklich über die ganze Saison hinweg zur Weltspitze zählen kann, wird sich jedoch zeigen müssen. Insbesondere beim Skifliegen steht nach seinem Planica-Sturz noch ein kleines Fragezeichen. Tande ist jedoch mental stark genug, um auch von den ganz großen Bakken wieder Erfolge feiern zu können.

Stefan Kraft

Seit der Saison 2014/15 war Kraft in jeder Saison in der Weltspitze zu finden. Selbst in seiner schwächsten Saison 2020/21, in der der Österreicher mit Verletzungen zu kämpfen hatte und das einzige Mal die Top 10 in der Gesamtwertung verpasste, sprang er in Oberstdorf zu WM-Gold. Dies sagt schon einiges über die gewaltigen Qualitäten von Stefan Kraft aus. Der 29-Jährige verfügt über einen äußerst aggressiven Sprungstil und kann seine Leistungen in Topform wie ein Uhrwerk abrufen. Kraft kam gut durch die Vorbereitung und sicherte sich den österreichischen Meistertitel von der Normalschanze. Bei den Sommer-Grand-Prix-Springen in Hinzenbach und Klingentahl reichte es jedoch nur für die Ränge 12 und 19. Sonderlich aussagekräftig ist das jedoch nicht. Kraft wird auch im kommenden Winter vorne zu finden sein, darauf kann man Brief und Siegel geben.

Anze Lanisek

In einer teilweise überragenden, oft aber auch etwas wankelmütigen slowenischen Mannschaft, ist Anze Lanisek seit ein paar Jahren die größte Konstante. Der 26-Jährige wird Jahr für Jahr etwas stärker und konnte sich im vergangenen Jahr den siebten Gesamtrang sichern. Bitter lief es für Lanisek in Peking, wo er aufgrund der Teamstärke nur einen Einsatz erhielt. Dafür durfte er bei der Skiflug-WM mitmischen und seinen Teil zur Team-Goldmedaille beitragen. Im Sommer überzeugte der Slowene mit Rang zwei in Hinzenbach, wurde dafür in Klingenthal nur 31, nachdem er die Quali gewonnen hatte. Die Form sollte in Summe aber stimmen und Lanisek ist es definitiv zuzutrauen, einen konstant starken Winter abzuliefern. Läuft alles rund, ist auch Top 5 im Gesamtweltcup möglich. Auch bei der Heim-WM in Planica gehört er zu den Medaillenkandidaten.

Timi Zajc

Timi Zajc landete im vergangenen Winter im Gesamtweltcup als Achter knapp hinter Lanisek, ist jedoch sogar noch einen Ticken stärker einzuschätzen. Der Slowene hat sich in der Weltspitze etabliert und ist vor allem beim Skifliegen unfassbar stark. In Vikersund reichte es zu Silber, jedoch war klar zu erkennen, dass potenziell sogar Gold möglich gewesen wäre. Zajc verfügt über einen aggressiven Flugstil und über ein grandioses Fluggefühl. Kleinere Anlagen liegen ihm nicht so gut, wie auch Rang 23 in Hinzenbach erkennen ließ. In Klingenthal zeigte er dann aber wieder spektakuläre Flüge und landete auf dem vierten Platz. Zajc ist eine kleine Wundertüte, da sein Sprungstil nicht zu jeder Anlage passt. Auf den großen Anlagen gehört der 22-Jährige zu den Favoriten, fraglich wird aber, wie er mit den kleineren Großschanzen zurecht kommt. Davon hängt dann auch ab, ob Zajc nur punktuelle Erfolge feiern kann oder auch im Gesamt-Weltcup ganz vorne mitmischt.

Dawid Kubacki

Der “Sommer-König“ hat wieder mal bewiesen, dass er in den warmen Monaten besonders stark springt. Seine Auftritte bei den Grand-Prix-Springen waren schon beeindruckend. Bei seinen vier Teilnahmen erzielte er drei Siege und einen zweiten Platz. Seine Siege in Hinzenbach und Klingenthal waren dabei auch noch so überlegen, dass der Konkurrenz Angst und Bange werden kann. Bei den polnischen Meisterschaften sicherte er sich den nächsten Erfolg und geht nun mit massiv Rückenwind in den Winter. Wie wir alle wissen, ist Kubacki deutlich mehr, als ein überragender Sommerspringer. Nicht umsonst war er bereits Weltmeister und Tournee-Sieger. In der kommenden Saison wird er nach dem ernüchternden 27. Weltcup-Platz vom Vorjahr mit ziemlicher Sicherheit wieder vorne mitmischen. Kubacki geht als Favorit in die ersten Saison-Springen und kann im Gesamtweltcup ein Wörtchen mitreden. Dem 32-Jährigen könnte nur zum Verhängnis werden, dass Kobayashi, Lindvik oder Kraft die deutlich besseren Flieger sind und auf diesen Anlagen mehr Punkte holen dürften.

Kamil Stoch

Konträr zu Kubacki hat Kamil Stoch einen durchwachsenen Sommer hinter sich. Zwar sprang er zu Beginn des Sommers in Wisla auf Rang eins und zwei, jedoch reichte es in Hinzenbach nur zu Rang 29. Nachdem er in Klingenthal nicht am Start war, erzielte er bei den polnischen Meisterschaften einen eher bedenklichen siebten Platz. Bereits in der letzten Saison konnte Stoch die Pace mit der Weltspitze über weite Teile nicht mitgehen. Nur punktuell sprang er vorne mit und wurde im Gesamt-Weltcup lediglich 19. Für einen 35-Jährigen ist ein solcher Abwärtstrend vielleicht auch normal. Man darf jetzt aber nicht den Fehler machen, Stoch vorschnell in Rente zu schicken. Manuel Fettner, der sogar noch älter ist, befindet sich beispielsweise in der Form seines Lebens. Den Gesamtweltcup wird der Routinier wohl nicht mehr gewinnen, jedoch sollten punktuelle Erfolge noch immer möglich sein. Dann geht es auch in der Gesamtwertung schnell wieder unter die Top 10 oder sogar noch weiter nach vorne.

Karl Geiger

Karl Geiger ist seit Jahren gemeinsam mit Markus Eisenbichler das Flagschiff des deutschen Skispringens und dabei noch eine Spur verlässlicher als sein Kollege. In den vergangenen Jahren sicherte sich Geiger den Skiflug-Weltmeistertitel, zwei WM-Einzelmedaillen und Olympia-Brone. Zudem wurde er im Gesamtweltcup zweimal zweiter. Kurz ab: Geiger ist aus der Weltspitze eigentlich gar nicht weg zu denken. Ein paar Sorgen machen lediglich seine Leistungen im Herbst. Nach einem ordentlichen siebten Platz in Hinzenbach, reichte es in Klingenthal nur zu Rang 21. Bei den deutschen Meisterschaften konnte er zudem auch nicht ganz mit dem Niveau von Wellinger und Eisenbichler mithalten. „Es fehlt noch was, damit es richtig rascheln kann“, erklärte er kürzlich im Interview mit Eurosport. Geiger ist jedoch routiniert genug, sich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Der Oberstdorf wird mit ziemlicher Sicherheit wieder zu den Top-8-Springern gehören und gehört bei den Großereignissen zum Favoritenkreis.

Markus Eisenbichler

Markus Eisenbichler war in den letzten Monaten das Fragezeichen im DSV-Team. Der Siegsdorfer absolvierte kein einziges Grand-Prix-Springen, was unter anderem an kleineren Verletzungen lag. Mehr Probleme hatte Super-Flieger jedoch im mentalen Bereich. „Ich habe gemerkt, dass mir irgendwie die Motivation für die kommende Saison fehlt. So kann ich nicht mehr weitermachen. Mir hat es nicht mehr so viel Spaß gemacht wie früher“, erklärte er gegenüber der ARD. Daher hat sich Eisenbichler professionelle Hilfe gesucht und zeigte sich nun froh darüber, diesen Schritt gegangen zu sein. Seine Leistungen bei der DM sorgen definitiv für Zuversicht. Es war nach dem turbulenten Sommer nicht damit zu rechnen, dass er auf einer eher kleineren Schanze – wie jener in Hinterzarten – die Silbermedaille gewinnt. Der 31-Jährige konnte sich im Herbst stabilisieren und springt wieder auf einem guten Niveau. Demnach sollte er auch im Winter zum erweiterten Favoritenkreis gehören.

Andreas Wellinger

Seit seinem Olympiasieg 2018 hat man Andreas Wellinger kaum noch in der Weltspitze erlebt. Der 27-Jährige hatte insbesondere mit seiner schweren Knieverletzung zu kämpfen und kam in der Saison 2020/21 überhaupt nicht klar. Ein wenig besser lief es dann schon im letzten Winter, in dem es zwar erneut viele Rückschläge, aber auch den ein oder anderen Lichtblick gab. Als die Saison nach der verpassten Olympia-Teilnahme völlig in die falsche Richtung zu kippen schien, berappelte sich Wellinger und war entscheidend an Team-Silber bei der Skiflug-WM beteiligt. Diesen Schwung konnte der einstige Spitzenspringer mitnehmen und in den Sommer transportieren. Mit zwei vierten und einem fünften Platz bei den SGP-Springen zeigte Wellinger, dass er wieder vorne mitmischen kann. Beeindruckend war zudem sein souveräner deutscher Meistertitel in Hinterzarten. Horngacher bescheinigte dem Athleten, gemeinsam mit Geiger und Eisenbichler „die Pace im Team vorzugeben“ und nannte ihn sogar neben den beiden deutschen Vorfliegern der letzten Jahre als Kandidat für den Tournee-Sieg. Alles was man von und über Wellinger hört, stimmt absolut zuversichtlich für die kommende Saison. Ob er dann mit seinem neuen “van-Deer-Ski“ wieder um Podiumsplätze und Siege mitspringen kann, bleibt jedoch abzuwarten. Nach den schwierigen letzten Jahren sollte die Erwartungshaltung nicht zu hoch sein.

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