Die Stimmung im deutschen Team ist nicht die gleiche wie im Vorjahr, dennoch herrscht Zuversicht. In gelb reiste Karl Geiger in der vergangenen Saison zum Auftakt der 70. Vierschanzentournee nach Oberstdorf – der Druck war groß. Der erhoffte Erfolg blieb jedoch erneut aus. In diesem Jahr reisen die deutschen Adler nicht als Top-Favoriten an. Ein Vorteil?

Der Winter verlief bisher alles andere als optimal und für das gesamte Team eher durchwachsen. Nach einem schwachen Start in Wisla herrschte Reisechaos auf dem Weg ins finnische Ruka. Einige Taschen des deutschen Teams sowie die Ski waren am Münchener Flughafen hängen geblieben. Kein Training für das deutsche Team, keine optimale Vorbereitung. Mit dem dritten Platz von Karl Geiger in Titisee-Neustadt gab es einen Lichtblick, der jedoch am gleichen Wochenende von einem Sturz durch Andreas Wellinger getrübt wurde.

Auch bei der letzten Station in Engelberg wollte es nicht so recht vorwärts gehen – zumindest was die Platzierungen betrifft. Platz sechs für Andreas Wellinger am Samstag und Rang zehn für Karl Geiger am Sonntag waren die besten Platzierungen im deutschen Sextett. Geigers Sprünge sind deutlich im Aufwärtstrend und konnten mit der Spitze durchaus mithalten, jedoch verbaute ein Sturz im ersten Durchgang eine Platzierung Richtung Top-5 oder gar Podest. Auch für Andreas Wellinger, der in den vergangenen Wochen an seiner Geschwindigkeit in der Anlaufspur tüftelte, lief es wieder besser. Denn in Engelberg scheint er das richtige Gefühl wiedergefunden zu haben und fand sich wieder deutlich weiter vorne in der Liste der Anfahrtgeschwindigkeiten. Sein Anspruch für die Tournee lautet: „Ich möchte wieder konstanter Skispringen. Ich werde versuchen am richtigen Gefühl zu arbeiten, um die Leichtigkeit wiederzufinden.“

Lehrgänge lassen hoffen: Hohe Dichte in der Mannschaft

Sowohl der Blick der Trainer als auch der der Athleten hatte in den vergangenen Wochen oft etwas ratloses. Besonders weil die Lehrgänge in den Pausen doch sehr vielversprechend verliefen. Somit war sehr viel Geduld gefragt – für Athleten und Trainer. Besonders Karl Geiger, Andreas Wellinger und Markus Eisenbichler konnten bisher nicht an ihre Trainingsleistungen anknüpfen. „Bei Karl fehlt aktuell noch ein wenig die Selbstsicherheit und der freie Kopf, den wir sonst von ihm gewohnt sind. Bei ihm kann es jedoch sehr schnell gehen, sobald das Gefühl mental wieder passt“, analysierte Bundestrainer Stefan Horngacher im Rahmen einer Pressekonferenz des Deutschen Skiverbandes in Engelberg kurz vor Weihnachten. Besonders für Andreas Wellinger lief die Vorbereitung sehr gut. Die Trainingseindrücke im Sommer waren sehr positiv. Den Sommer schloss der 27-Jährige als Deutscher Meister in Hinterzarten ab. Wellinger erklärte: „Der Sommer war sehr gut, aber leider ist der Prozess vom Training in die Wettkämpfe immer schlechter geworden. Ich bin einfach nicht mehr so sauber Ski gesprungen, dafür ist die Dichte an der Spitze aktuell einfach zu hoch.“

Wie Stefan Horngacher bei der Auftakt-Pressekonferenz in Oberstdorf berichtete, sei besonders der letzte Lehrgang vor Weihnachten ein Erfolg gewesen. Nach dem Weltcup in Engelberg absolvierte das Team zwei Trainingstage auf der Schanze des Tournee-Auftakts und tüftelte noch einmal an Kleinigkeiten hinsichtlich des Materials. „Wir hatten einen sehr guten Lehrgang in Oberstdorf und haben gute Bedingungen vorgefunden. Besonders bei Karl liefen die Sprünge noch einmal besser als in Engelberg und waren auf einem hohen Niveau. Insgesamt hat die gesamte Mannschaft gute Trainingsleistungen gezeigt“, analysierte der 53-Jährige. Besonders die Dichte sei im deutschen Team besonders hoch, was den Bundestrainer zuversichtlich auf die kommende Vierschanzentournee stimmt: „Ich bin mannschaftlich noch nie so gut zu einer Tournee gefahren wie in diesem Jahr. Ich bin mir sicher, dass sich der ein oder andere im Team nach vorne arbeiten kann.“

Karl Geiger vor Auftakt in Oberstdorf: „Der Anspruch ist da“

Glänzen konnten im Zeitraum bis zur Tournee vor allem der Weltcup-Gesamtführende Dawid Kubacki (POL) und der Zweitplatzierte Anze Lanisek (SLO). Auch Halvor Egner Granerud (NOR), Stefan Kraft (AUT) und Manuel Fettner (AUT) waren bisher auf dem Podest vertreten und immer im vorderen Feld dabei. Dawid Kubacki wird in diesem Jahr aber in jedem Fall als Top-Favorit an den Start gehen. Sein Vorteil: Er hat die Vierschanzentournee bereits in der Saison 2019/20 gewonnen. Der Druck von außen dürfte in diesem Jahr jedoch noch einmal um einiges größer sein. „Mir ist am Ende des Wettkampfes eigentlich egal, wer Erster, Zweiter oder Dritter ist. Was ich aber sehe, ist, dass sich die Konkurrenz nochmal deutlich absetzt. Die anderen springen einfach extrem stabil und fein. Irgendwas müssen sie also deutlich richtiger machen als ich momentan. Das versuche ich dann als Selbstoptimierung heranzuziehen. Die Namen interessieren mich aber nicht“, so Karl Geiger über seine Konkurrenz.

Weiter erklärte der Oberstdorfer zu seiner Ausgangsposition vor Tournee-Start: „Letztes Jahr bin ich mit dem gelben Trikot angereist, da hab ich gewusst, dass meine Sprünge funktionieren. Aktuell ist das ganze für mich eher mit mehr Unsicherheit behaftet. Aber wenn man in Oberstdorf an den Start geht, will man einfach performen – egal ob in gelb oder nicht. Der Fokus liegt auf anderen, da muss man auch realistisch sein. Andere springen sehr gut und da muss man erst einmal hinkommen. Aber der Anspruch von außen und auch von mir selber ist dennoch da, das zu erreichen.“

Das besondere an der Schattenbergschanze in Oberstdorf sei für Karl Geiger nicht nur die Tatsache, dass es seine Heimschanze ist, auf der er die meisten Sprünge gesammelt hat. Wie er einen Tag vor Tournee-Auftakt verriet, läge ihm die Schanze in Oberstdorf eigentlich gar nicht so gut. Das besondere sei für ihn vielmehr, dass er sich dort ein gutes Gefühl für andere Schanze erarbeiten kann. „Wenn ich in Oberstdorf gut springen kann, auf einer Schanze, auf der es mir eigentlich gar nicht so leicht fällt, dann kann ich das gute Gefühl auch auf andere Schanzen übertragen“, erklärte Geiger. Der Lokalmatador sieht an seiner Heimschanze nichts markantes wie es bei den meisten anderen Schanzen der Fall ist, denn sie sei sehr dynamisch und harmonisch. Geigers häufigster Fehler in Oberstdorf sei der Schwerpunkt und dass er am Schanzentisch oft zu spät ist.

Keine nationale Gruppe in Oberstdorf – Raimund als 7. Ass im Ärmel

Wie Bundestrainer Stefan Horngacher bereits in Engelberg bekanntgab, wird es erneut keine nationale Gruppe beim Auftakt der Vierschanzentournee in Oberstdorf geben. Lediglich bei der zweiten Station in Garmisch-Partenkirchen wird es die Chance für das B-Team aus dem FIS Continental Cup (COC) geben. Grund dafür ist vor allem der COC, der gleichzeitig mit dem Auftakt der 71. Vierschanzentournee in Engelberg stattfindet. Die zweite nationale Gruppe soll dann beim Heim-Weltcup in Willingen Anfang Februar zum Einsatz kommen.

Durch seine starken Leistungen im FIS Continental Cup und seiner Führung in der COC-Gesamtwertung wird jedoch Philipp Raimund in Oberstdorf als 7. Mann zum deutschen Team hinzustoßen. Zuletzt überragte Raimund vor allem in Ruka, als er mit über 33 Punkten Vorsprung an der Konkurrenz vorbeizog. „Philipp hat zuletzt super Sprünge im Continental Cup gezeigt und sich somit den 7. Platz erarbeitet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich sein COC-Leben mit der Tournee erledigt haben wird“, so Horngacher über den jungen Mann vom SC Oberstdorf. Auch sonst hat der Bundestrainer kurz vor der Tournee nur positives über den jungen Oberstdorfer zu berichten: „Er ist ein hochintelligenter, akribischer junger Sportler, der mit sehr viel Sprungkraft gesegnet ist und zudem eine Menge Talent mitbringt. Einfach ein sympathischer Kerl.“

Quelle: DSV PK / interne Informationen

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