Klein, aber immer für eine Überraschung gut. So lässt sich das Skisprung-Team der Schweiz umschreiben. Die Eidgenossen schaffen es bereits seit Jahren, aus einer überschaubaren Mannschaft, immer wieder einzelne Athleten in die Spitze zu bringen. Doch klappt dieses Unterfangen auch im neuen Winter? In unserer Saisonvorschau Part V nehmen wir die Schweizer unter die Lupe und schätzen die Chancen in der Saison 2021/2022 ein.

Die Schweiz fällt im Skispringen weniger durch mannschaftliche Breite auf. Das verrät schon der Blick auf den Winter 2020/2021 in der Nationenwertung: Rang acht mit 508 Punkten. Damit sind die Eidgenossen von insgesamt 16 Mannschaften genau im Mittelfeld des Tableaus und somit weder in der Weltspitze, aber auch nicht im Kreis der Abgehängten. Einzelne Springer haben das Team vor allem ab der Jahrtausendwende mitgerissen und stark geprägt. Früher vor allem Simon Ammann, der als doppelter Doppel-Olympiasieger (2002, 2010), Weltmeister und Gesamtweltcup-Sieger so ziemlich alles überstrahlt. Oder auch Andreas Küttel, der Großschanzen-Weltmeister von Liberec (2009) und fünffache Tagessieger im Weltcup, ist ein Aushängeschild der Schweiz. Und nicht zu vergessen Killian Peier, der WM-Bronze in Seefeld/Tirol (2019) gewinnen konnte. Wer macht also den nächsten Ausreißer auf das Podest?

Gregor Deschwanden zurzeit das Aushängeschild im Team

Vielleicht heißt der Kandidat im anstehenden Winter ausgerechnet Gregor Deschwanden. Der 30-Jährige hat 2020/2021 den besten Winter seiner Karriere absolviert. Mit Rang 26 (206 P.) ist zudem noch genügend Luft nach oben. Seit 2010 ist Deschwanden im Weltcup mit dabei, stand zumeist im Schatten von Simon Ammann oder Killian Peier. Nun richten sich die Blicke der Eidgenossen auf ihn. In Courchevel sicherte sich Deschwanden mit Platz zwei beim Sommer-Grand-Prix sein erstes internationales Podest. Auch beim SGP-Finale in Klingenthal schaffte Gregor Deschwanden als Zehnter den Sprung in die Top 10. Sein Erfolgsrezept sieht der Journalist Andreas Kopp, Neue Zürcher Zeitung (NZZ), in der menschlichen Weiterentwicklung. „Er war fokussierter und hungriger, behielt aber gleichzeitig seine positive Frechheit und Schlitzohrigkeit bei“, beschreibt Kopp den frischgebackenen Schweizer Meister. Mit Deschwanden ist im neuen Winter definitiv zu rechnen. Der 30-Jährige kann für die Schweizer die Kohlen aus dem Feuer holen.

Die Langzeitverletzten kehren zurück

Kurz vor dem Saisonbeginn scheint sich die Situation bei den Schweizern in Sachen Personal langsam zu verbessern. Nach seinem Kreuzbandriss im Oktober 2020 verkündete Killian Peier am Donnerstag seinen Start in Nischni Tagil via Instagram: „Die Sommervorbereitung ist getan. Ich bin wirklich glücklich mit der gesamten Arbeit. Ich werde beim Start in den Weltcup nächste Woche dabei sein.“ Da Peier nicht bei den Schweizer Meisterschaften an den Start ging, ist der Weltcupauftakt sein erster Wettkampf in diesem Jahr. Es bleibt also abzuwarten, wie der 26-Jährige die Feuertaufe bestehen wird. Ebenfalls sicher mit dabei ist Dominik Peter. Ein Meniskusschaden im linken Knie hat den 20-Jährigen im Frühjahr außer Gefecht gesetzt. Seit den nationalen Wettkämpfen im Oktober ist Peter aber wieder im Wettkampfgeschehen drin. Mit dem Vizemeister-Titel hat sich der Junioren-Medaillengewinner von Lahti stark zurückgemeldet. „Die Sprünge sind schon auf einem guten Niveau. Fitness ist momentan auf einem Level wie ich es bis jetzt noch nicht hatte. Sie ist sogar besser als vor der Verletzung“, erklärte Domink Peter am Rande der Meisterschaften gegenüber dem Züricher Oberländer. Der 20-Jährige peilt für den kommenden Winter die Top 20 an – im Weltcup wie auch bei den Olympischen Winterspielen in Peking.

Großes Fragezeichen hinter Simon Ammann

Deutlich weniger optimistisch sieht die Situation bei Altmeister Simon Ammann aus. Der 40-Jährige wird voraussichtlich nach der Saison aufhören, auch wenn er sich weiterhin ein Türchen für das Weitermachen offen hält. Im voraussichtlich letzten Sommer als Aktiver sah es zu Beginn aber gut aus: Rang drei in Courchevel war ein erstes Ausrufezeichen an die Konkurrenz. Doch bereits Ende August folgte der große Rückschlag. Ammann hat sich im Windkanal in Stockholm einen Bänderriss im Fuß zugezogen, war dadurch wochenlang nicht im Sprungtraining mit dabei. Seither hat der doppelte Doppel-Olympiasieger keinen internationalen Wettkampf mehr bestritten und war auch beim nationalen Kräftemessen in Einsiedeln nicht von der Partie. Die Verletzung hat Simon Ammann zwar überstanden. Doch die letzten Trainingseindrücke vor seiner 25. Weltcupsaison waren nicht vielversprechend. Wo Ammann seine Saison starten wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch ungewiss.

Die jüngere Generation kämpft um den Anschluss

Einen genauen Blick wirft Cheftrainer Ronny Hornschuh auch auf die Athleten aus der zweiten Reihe. Andreas Schuler ist zwar schon längst im Herrenbereich angekommen. Doch den Durchbruch im Weltcup hat der 25-Jährige noch nicht geschafft. Und deshalb musste Schuler stets den Weg über den Continentalcup nehmen. Im abgelaufenen Sommer startete Andreas Schuler auch im FIS-Cup und konnte dort mit mehreren Top-10-Platzierungen überzeugen. Doch der Herbst lief bei internationalen Wettkämpfen nicht nach Plan, denn es gab für ihn keine Punkte. Zumindest bei den Schweizer Meisterschaften sicherte sich Schuler die Bronzemedaille und etwas Selbstvertrauen. Sandro Hauswirth blieben die kleinen Erfolgserlebnisse in dieser Vorbereitung verwehrt. Weder national noch international überzeugte der 21-Jährige. Rang 13 im FIS-Cup als bestes internationales Resultat sowie ein sechster Platz bei den Schweizer Meisterschaften sind keine Empfehlung für den Weltcupauftakt. Näher an die erste Mannschaft rücken, wollen auch die C-Kader-Springer Lars Kindlimann und Yannick Wasser sowie Olan Lacroix. Keiner der genannten Springer machte aber zuletzt im FIS- oder COC-Cup für sich Werbung.

Damen-Team der Schweiz im Aufbau

Skispringen in der Schweiz ist aber nicht nur Männersache. Es gibt auch Damen, jedoch in kleiner Zahl. Die amtierende Meisterin der Schweiz heißt Emely Torazza und besitzt B-Kader-Status. Rea Kindlimann und Sina Arnet gehören dem C-Kader an. Die Damen werden vorzugsweise im FIS-Cup sowie Continentalcup zu sehen sein. Erste Achtungserfolge gab es in diesem Sommer aber bereits. So sicherte sich die 17-jährige Torazza den Tagessieg im Alpen-Cup in Klingenthal wie auch in Pöhla. Die 16-jährige Arnet sammelte in diesem Sommer gar Punkte im Conti-Cup. Und auch die 19-jährige Kindlimann machte mit Platz 4 in Einsiedeln beim FIS-Cup auf sich aufmerksam. Für den Damen-Weltcup reicht das Niveau der jungen Schweizerinnen aber noch nicht. Viel mehr steht der anstehende Winter im Zeichen des Lernens. Bis also wieder eine erfolgversprechende Springerin wie Sabrina Windmüller im Weltcup starten kann, werden die Eidgenossen noch einige Jahre Aufbauarbeit leisten müssen.

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