Nur mit Skier an den Füßen stürzen sie sich die riesigen Schanzen dieser Welt hinunter und sind den wilden Treiben der Kräfte und der Natur beinahe schutzlos ausgeliefert: Den Lebensweg eines Skispringers zu bestreiten ist wahrlich nicht leicht und erfordert eine große Portion Mut. Während sich die Athleten großer Skisprung-Nationen immerhin über finanzielle Unterstützung, ein großes Betreuerteam und zahlreiche Teamkollegen verlassen können, sind andere beinahe völlig auf sich alleine gestellt. Auch im anstehenden Winter möchten einige der sogenannten Einzelkämpfer ihren Traum als Skispringer leben und mit den Besten der Welt wetteifern. Bevor wir in unserer Saisonvorschau täglich eine Skisprung-Nation genauer beleuchten werden, möchten wir euch heute fünf tapfere und ambitionierte Einzelkämpfer vorstellen.

Das Leben als Athlet kleinerer Skisprung-Nationen ist durchaus von Anstrengung geprägt. Während sich die Spitzenleute aus Deutschland, Österreich oder Polen vornehmlich auf das Springen konzentrieren können, haben die sogenannten Exoten alle Hände voll zu tun. Besonders schwerwiegend ist dabei der finanzielle Aspekt. Ohne Unterstützung des Verbandes und mit geringen Preisgeldern, gilt es Sponsoren zu finden oder über den Sommer Nebentätigkeiten anzunehmen. Während der Saison müssen schließlich organisatorische Dinge, wie Hotel- und Flugplanungen, oft in Eigenregie durchgeführt werden. Selbst an der Schanze selbst gibt es maximal eine Handvoll Leute, die sich um Dinge wie Material und Wachs kümmern. Besonders bitter: Da sich das Skispringen immer mehr zur Materialschlacht entwickelt, haben die Exoten kaum eine Chance, wirklich vorne mitzuhalten. So fehlt es in diesem Bereich an Know-How und finanziellen Mitteln, um mit den Top-Nationen mitzuhalten, was sich schlussendlich in der Sprungweite der Athleten widerspiegelt. Oft treten diese nur in der Qualifikation oder zu Beginn des Wettbewerbes an – also zu jener Zeit, in der im Fernsehen noch mehr oder wenige wichtige Vorberichte laufen und Zuschauer lieber aufs Handy als in Richtung Schanze schauen. Während es meist um die Topstars der Szene geht, werden die sogenannten Kleinen des Skisprungsports leider häufig übergangen. Dass es einige trotz widriger Umstände dennoch versuchen, zeugt von enormen Kampfgeist und verdient ein besonderes Maß an Respekt.

Vladimir Zografski: Wird er erneut der beste „Exot“?

Einer der „berühmtesten“ und begnadetsten Einzelkämpfer der letzten Jahre ist der Bulgare Vladimir Zografski. Sein Weltcup-Debüt gab dieser bereits im Alter von gerade einmal 15 Jahren. Obwohl der 27-Jährige seit zwölf Jahren der einzige Bulgare im Weltcup ist, hat dieser zumindest mehrmals das Glück gehabt, mit echten Fachleuten zusammenarbeiten zu können. So agierten bereits Joachim Winterlich, Vater und Ex-Springer Emil Zografski und Alex Pointner als Berater und Trainer an seiner Seite. Vielleicht mit ein Grund, warum Zografski zuletzt der stärkste Einzelkämpfer war. Sein großes Talent bewies er bereits im Jahr 2011, als er Gold bei den Junioren-Weltmeisterschaften holte. Zwar blieb im Anschluss die ganz große Karriere aus, für Achtungserfolge war er jedoch immer gut. Sein bestes Resultat feierte der Bulgare zum Auftakt der Saison 2018/19 mit einem sechsten Rang in Ruka. Wenig später sprang er bei der Tournee viermal ins Finale und belegte insgesamt einen starken 18. Platz. Wie bereits im Winter 2012/2013 belegte der 1,65-Meter große Skisprungfloh im Gesamtweltcup Rang 33. Seinen vielleicht größten Erfolg feierte er bei den Olympischen Winterspielen, als er von der Normalschanze Rang 14 belegte. Auch in der letzten Saison gelangen ihm fünfmal Weltcup-Punkte und ein 16. Platz in Willingen. Wie es in der kommenden Saison für ihn laufen wird, ist schwer abzusehen. Mit den Rängen 41 und 22 beim schwach besetzen Sommer Grand-Prix deutete er zumindest eine gewisse Instabilität an. Ansonsten zeigte sich der Sksiprung-Exot auf Instagram bei Sommertrainings in Oberstdorf und Ramsau. Klar ist jedoch: Weht der Wind in die richtige Richtung, hat der 57 Kilogramm leichte Zografski mit seinem aggressiven Sprungstil durchaus die Chance, auch in der Saison 2020/21 für die ein oder andere Überraschung zu sorgen.

Jonathan Learoyd: Schafft er den Weg zurück in den Weltcup?

Nicolas Dessum, Emanuel Chedal oder Vincent Descombes Sevoie: Blickt man ein paar Jahre zurück, so hatten die Franzosen durchaus ein paar namenhafte Springer in ihren Reihen. Davon ist allerdings wenig übrig geblieben. Das hoffnungsvollste Talent ist der 20-Jährige Jonathan Learoyd. Zwar hat er mit Matthis Contamine und Paul Brasme noch zwei Kollegen an seiner Seite, allerdings fehlte es oft an Kontinuität und Kompetenz im Trainerstab. Sinnbildlich der diesjährige Frühling: Nachdem der Verband bereits Heinz Kuttin als neuen Trainer vorstellte, sprang dieser im letzten Moment noch ab. Zu neuen Höhenflügen soll den Franzosen nun David Jiroutek verhelfen. Für Learoyd gilt es erst einmal die völlig verkorkste Vorsaison zu vergessen. Dass er Skispringen kann, hat der Franzose mit britischer Herkunft jedenfalls schon öfter gezeigt. So gewann er im Dezember 2017 ein Continental-Cup-Springen und untermauerte sein Können mit zwei weiteren Podiumsplätzen. Seine ersten Weltcup-Punkte gelangen ihm als 26. beim Tournee-Auftakt in Oberstdorf. Eine bemerkenswerte Saison 2017/18 schloss er mit Rang 27 bei den Olympischen Spielen und Rang 25 am Holmenkollen ab. In der Folgesaison holte er zwar keine Weltcup-Punkte, schaffte jedoch bei der WM zweimal den Sprung ins Finale. Im vergangenen Winter folgte jedoch ein enormer Leistungsabfall. So konnte er lediglich beim COC-Auftakt in Ruka und in Iron Mountain punkten. Im Weltcup schaffte er nicht einmal den Sprung unter die besten 50. Demnach beendete er die Saison sogar vorzeitig: „Mit meinen Trainern haben wir die Entscheidung getroffen, dass es Zeit für mich war, anzuhalten und mir die Zeit zu nehmen, meine Batterien aufzuladen und Freude am Leben zu finden“, kündigt Jonathan Learoyd in sozialen Netzwerken an. „Ich werde stärker zurückkommen“, schloss er. Vielversprechend lief jedoch auch der Sommer noch nicht. So gelangen ihm beim COC in Wisla nur die Plätze 36 und 40. Trotzdem freut sich der Franzose auf den Winter. „Lass den Winter beginnen. Freue mich, dass es bald wieder los geht“, zeigte er sich auf Instagram bereit für den Saisonstart. Prognose: Mit Weltcup-Punkten dürfte es für den 20-Jährigen dennoch schwierig werden.

Alex Insam: Wann setzt der Flug-Spezialist zu neuen Höhenflügen an?

Fast alles, was man über die Franzosen und Jonathan Learoyd sagen kann, gilt auch für den einzigen italienischen A-Kader-Athleten Alex Insam. So liegt die beste Zeit des 23-Jährigen auch ein paar Jahre zurück. Dabei offenbarte er vor allem auf den ganz großen Anlagen sein fliegerisches Potenzial. Nachdem er im Jahr 2017 überraschend Junioren-Vize-Weltmeister wurde, glänzte er vor allem beim Saison-Abschluss in Planica. Nach einem neuen Landesrekord (232,5 Meter) im Probedurchgang landete er auch im Wettkampf auf einen starken 15. Platz. Seine ersten Weltcup-Punkte konnte er sich kurz zuvor als 25. in Vikersund sichern. Sein Fluggefühl zeigte er auch bei der Skiflug-WM in Oberstdorf 2018, wo er als 27. den Sprung unter die besten 30 schaffte. Kurz darauf belegte er bei den Olympischen Spielen sogar Rang 23 von der Großschanze. In der Saison 2019/20 war der Italiener jedoch weit von Weltcup-Punkten entfernt. Sein bestes Resultat war ein 20. Platz beim COC-Heimspringen in Predazzo. Über die aktuelle Verfassung von Insam kann nur spekuliert werden. So nahm er weder beim GP noch beim COC in Wisla teil und fehlte zuletzt bei den italienischen Meisterschaften aufgrund von Muskelbeschwerden. Zumindest diese sollten nun überwunden sein, zumal fondoitalia.it von einem Trainingscamp mit Insam berichtet, dass vom 4. bis 8. November in Predazzo abgehalten wurde. Auf seiner Instagram-Seite gibt er seinen Fans einen spektakulären Einblick auf seine Arbeit im Windkanal von Stockholm, wo er dank modernster Technik an seiner Flugposition arbeiten konnte. „Danke für diese fantastische Erfahrung und all das neue Wissen. Lass das nun auch auf die Schanzen transportieren“, zeigt er sich angriffslustig. Ob die Arbeit sich gelohnt hat, sehen wir vielleicht schon beim Weltcup-Auftakt in Wisla, wo es für Insam darum geht, um den Einzug ins Finale mitzukämpfen.

Sergei Tkatschenko: Schafft der junge Kasache den Sprung in die Top-30?

Was die Kasachen in den letzten Jahren von anderen Nationen unterschied, war es, dass sie trotz ihrer klaren Unterlegenheit meist auch bei den Teamwettkämpfen mit vier Springern vertreten waren. Dies war in jüngster Vergangenheit leider wieder seltener der Fall. Die Kasachische Fahne hielt zuletzt fast ausschließlich Sergei Tkatschenko hoch, der mit Abstand der beste Springer seines Landes und das größte Talent seit einiger Zeit ist. Dies bewies er vor allem bei den Juniorenweltmeisterschaften 2019, als er als erster kasachischer Skispringer eine Medaille gewann. Wie bereits die Beispiele Zografski und Insam zeigen, ist dies jedoch noch keine Garantie, um auch im Weltcup eine Rolle zu spielen. Es scheint geradezu, dass es vor allem im zunehmenden Alter für die „Exoten“ immer schwieriger wird, wenngleich auch Tkatschenko selbstredend noch am Anfang seiner Karriere steht. So machte dieser in der Saison 2019/20 einen Sprung nach vorne und sammelte erstmals Weltcup-Punkte. Hierbei waren Rang 24 in Engelberg, 29 in Predazzo und 27 beim letzten Saisonspringen in Lillehammer durchaus Achtungserfolge. Im Sommer hat sich der 21-Jährige rar gemacht und trat bei den internationalen Springen nicht an. Klar ist jedoch, dass Tkatschenko das technische Können und das Talent besitzt, seine Achtungserfolge vom Vorjahr zu wiederholen, wenn nicht sogar zu übertreffen. So sind die Top-30 auch in der Saison 2020/21 das Ziel: Hier gilt es sich für den Kasachen langfristig zu etablieren.

Artti Aigro: Wenig Gewicht und viel Weite?

Auf eine große Tradition an Skispringern kann der nördlichste Baltikan-Staat, Estland, nicht zurückblicken. Vor einigen Jahren jedoch, konnte Kaarel Nurmsaluu als Kombinierer und Skispringer ein paar wenige Erfolge feiern. Auf seinen Spuren befindet sich nun der 21-Jährige Artti Aigro. Da ein estländisches Team weiterhin kaum existiert, trainiert Aigro häufig gemeinsam mit der finnischen Mannschaft, die leistungsmäßig ungefähr auf einer Ebene mit dem talentierten Esten liegt. Aufgrund der Verbindung zu Finnland, ist es nicht überraschend, dass er sein bestes Weltcup-Resultat als 19. in Ruka erzielte. Wenngleich ihm in der Saison 2018/19 keine weiteren Weltcup-Punkte gelangen, durfte er sich immerhin über fünf Top-10-Plätze im COC freuen. Erst im Februar 2020 konnte er sich in Sapporo für oftmals gute Trainingsleistungen mit Rang 25 im Weltcup belohnen. Kurz darauf bestätigte er mit Rang 26 am Kulm seine Ambitionen. Dass er auch ein guter Flieger ist, zeigte er bereits ein Jahr zuvor, als er als Vorspringer 228 Meter in Planica segelte. In diesem Sommer präsentierte sich Aigro erneut in ordentlicher Form. So gelangen ihm beim COC in Wisla mit den Rängen 21 und 26 in beiden Wettbewerben Punkte. Zuletzt machte er zudem bei den finnischen Meisterschaften auf sich aufmerksam. Zwar kam er nicht an die besten Finnen Nico Kytösaho und Annti Aalto heran, distanzierte jedoch das restliche Teilnehmerfeld auf der Großschanze von Lahti um fast 40 Punkte. Wozu solche Leistungen im Winter reichen, bleibt abzuwarten. Mit nur 50 Kilogramm Körpergewicht und einer sauberen Technik, ist Aigro durchaus ein Mann der Lüfte. Um im Weltcup zu bestehen, ist jedoch auch die Athletik ein großer Faktor. Dass Aigro an dieser hart arbeitet, lässt zumindest dessen letzter Instagram-Post schließen, welcher ihn mit einer schwer beladenen Hantelstange zeigt. Stärker denn je, möchte der 21-Jährige im anstehenden Winter fleißig Punkte sammeln.

Einzelkämpfer vor schwerer Zukunft: Geht es nur gemeinsam?

Auch im nächsten Winter wachsen die Bäume für die Einzelkämpfer voraussichtlich nicht in den Himmel. Die aktuelle Corona-Pandemie erschwert die Lage vor allem für diese Springer noch einmal enorm. Dafür sorgen unter anderem die Kosten für Corona-Tests, die Athleten und Verbänden an die Grenze ihrer Möglichkeiten kommen lassen könnten. Bleibt zu hoffen, dass die Springer trotz aller Schwierigkeiten bei den Weltcups mitmachen und das ein oder andere Erfolgserlebnis feiern können. Denn es sind gerade die Überraschungen vermeintlicher Underdogs, die den Sport und vor allem das Skispringen ausmachen. In den letzten Jahren haben sich die Top-Springer zunehmend auf wenige Nationen konzentriert. Um ein buntes Teilnehmerfeld zu bewahren, gilt es nun jenen die Daumen zu drücken, die einen fast schon einsamen Kampf für ihr Land führen. Dieser ist von enormer Bedeutung, zumal gerade Kinder und Jugendliche Vorbilder benötigen, um mit dem Skispringen zu beginnen. Brechen diese weg, droht dauerhaft ein immer kleiner werdendes Teilnehmerfeld im Skisprung-Weltcup. Ein möglicher Weg aus diesem Abwärtsstrudel, sind Kooperationen zweier oder mehrerer Nationen. So gehen bereits jetzt die US-Amerikaner und Kanadier einen gemeinsamen Weg. Wohin dieser führen könnte, lest ihr morgen in Teil zwei unserer Saisonvorschau.

Quellen: fondoitalia.it, berkutschi.com

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