In gerade einmal neun Monaten kämpfte sich der Norweger Halvor Egner Granerud von Rang 61 der Gesamtwertung 2019/20 an die Weltspitze. Im WM-Winter 2020/21 sicherte sich der 24-Jährige die große Kristallkugel und legte damit eine 180-Grad-Kehrtwende zum Vorjahr hin.
“Skallz” oder “Grandex” wie Halvor Egner Granerud von seinen Freunden und Teamkollegen gerne genannt wird, war im vergangenen Winter in der Gesamtheit der beste Skispringer der Welt und verblüffte die Konkurrenz sowie sein eigenes Team. Wir haben ihn gefragt, wie er sich selbst in drei Worten beschreiben würde und man konnte das Lächeln von Halvor Egner Granerud fast hören: „Ich würde sagen, ich bin scherzhaft, engagiert und freundlich. Zumindest hoffe ich, dass ich freundlich bin, ich versuche es.“
Sportlich gesehen analysierte der Norweger sich selbst: „Ich denke, meine größte Stärke auf der Schanze ist meine Fähigkeit, Kraft an den Schanzentisch zu bringen. Meine aktuell größte Schwäche ist meiner Meinung nach meine Geschwindigkeit in der Anlaufspur. Es war mal Skifliegen, aber das hat nun in der letzten Saison deutlich besser funktioniert.“
Karriereende stand kurzzeitig zur Debatte
Noch im Vorjahr verbrachte der Dominator der vor Kurzem beendeten Wintersaison die meiste Zeit im Continentalcup, der 2. Liga des Skispringens, und wurde im Weltcup nur 61. Ein derartiger Turnaround war daher in so kurzer Zeit eigentlich nicht zu erwarten. Doch er schaffte es, sich in nur wenigen Monaten wie Phönix aus der Asche an die Weltspitze und damit in die Position des Weltcup-Führenden zu katapultieren. Sein bestes Ergebnis vor dem Winter 2020/21 war der 15. Rang im Gesamtweltcup 2018/19, bevor es für ihn vorerst steil bergab ging.
Ende 2020 lobte ihn seiner Trainer Alexander Stöckl im norwegischen Fernsehen NRK für seine Wandlung im Sommer: „Im Vergleich zum Vorjahr hat er es geschafft, ein bisschen ganzheitlicher zu denken, was das Training betrifft. Er ist ein sehr intelligenter Bursche, aber er ist oft sehr detail-fokussiert und hat sich speziell im Vorjahr ziemlich verlaufen, weil er einfach das große Ganze aus den Augen verloren hat. Das hat er heuer anders gemacht, er hat gut gearbeitet. Er ist ein sehr professioneller Athlet mit einem durchorganisierten Tagesablauf.“
Granerud selbst gestand in den norwegischen Medien: „Es war ein ziemlich dunkler Winter. Viel lag an der falschen Technik. Irgendwann ist es selbstverständlich zu fragen, ob die Karriere beendet ist. Und kurzfristig war sie das auch. Ich habe letztes Jahr mitten im Winter eine Pause gemacht. Eine Woche war ich kein Skispringer.“
Tom Hilde als größtes Idol seit Kindheit
Wie uns der 24-Jährige erzählte, ist Tom Hilde sein größtes Idol seit seiner Kindheit. Die beiden verbinden gleich mehrere Gemeinsamkeiten. Denn sie stammen nicht nur aus dem gleichen Ort (Asker), sondern wohnten jahrelang nur wenige hundert Meter entfernt voneinander und besuchten die gleichen Schulen. Sowohl Hilde als auch Granerud sind Mitglieder ihres Heimatvereins Asker Skiklubb. In der Saison 2007/08, in der Tom Hilde seine ersten beiden Weltcup-Siege feiern konnte, verfolgte Halvor Egner Granerud die Wettbewerbe mehr und mehr vor dem Fernseher.
Die ersten Sprünge auf selbst gebauten Hügeln vor der eigenen Haustüre absolvierte Granerud bereits im Alter von knapp 2 Jahren. Seinen ersten Sprung von einer Schanze machte er mit etwa 5,5 Jahren, als er seinen Bruder begleitete. Bis er sich jedoch entschied, sich voll und ganz dem Skispringen zu widmen, standen auch andere Sportarten auf seiner Agenda. „Ich denke, dass ich schon immer ein professioneller Athlet sein wollte. Für eine lange Zeit kamen für mich entweder Skispringen, Biathlon oder Fußball infrage. Erst im Alter von 16 Jahren habe ich mich dann endgültig für den Skisprungsport entschieden. Davor habe ich sogar noch Nordische Kombination gemacht“, so der mittlerweile Vollblut-Skispringer. Und wie sich mittlerweile gezeigt hat, scheint dies die absolut richtige Entscheidung gewesen zu sein.
Große Ambitionen für die Zukunft
Wie Halvor Egner Granerud weiter erzählte, wäre sein größtes Ziel, einmal der beste norwegische Skispringer aller Zeiten zu werden. Doch für die nahe Zukunft hat der 24-Jährige erst einmal andere Pläne: „Ich möchte nächstes Jahr noch einmal den Gesamt-Weltcup gewinnen. Ich denke, es ist schon ein Stück her, dass jemand seinen Sieg des Gesamt-Weltcups verteidigen konnte. Daher ist das erstmal mein Hauptziel.“ Mit seiner Aussage liegt der Norweger nicht ganz daneben: Denn das letzte Mal zweimal nacheinander den Gesamt-Weltcupsieg abgeräumt, hat der Finne Janne Ahonen. Er gewann die große Kristallkugel im Winter 2003/04 und verteidigte sie in der darauffolgenden Saison 2004/05. Direkt vor Ahonen sicherte sich die polnische Legende Adam Malysz sogar in drei Jahren hintereinander den Gesamtweltcup-Sieg und ist damit der Einzige, dem das bisher gelang.
Quelle: NRK, interne Informationen