Ausgerechnet Halvor Egner Granerud wird fehlen, wenn die weltbesten Skispringer am Freitag um den WM-Titel springen werden. Für den an Corona erkrankten Norweger gibt es aber zumindest ein Trostpflaster. So gewann dieser als erster Norweger seit Anders Bardal (2012) den Gesamtweltcup. Grund für die schnelle Vorentscheidung ist die Absage der Raw-Air, die wie nun bekannt ist lediglich durch ein weiteres Einzelspringen in Planica ersetzt wird. Mit 1544 Punkten liegt Granerud nämlich ganze 526 Zähler vor Markus Eisenbichler, was in drei verbleibenden Einzelspringen nicht aufholbar ist.
Es ist schon sagenhaft, wie Halvor Egner Granerud die Skisprungsaison 2020/21 dominiert hat. Im Vorjahr noch auf Rang 61 in der Gesamtwertung platziert, präsentierte er sich in diesem Winter mit elf Siegen als die klare Nummer 1 im Weltcupzirkus. Diese fuhr er dann auch noch häufig in einer Leichtigkeit ein, dass der Konkurrenz Angst und Bange werden konnte. Trotz dieses geradezu märchenhaften Aufstieg, ist die Saison für den Norweger keine ganz vollkommene. So ist eine Saison mit Springen, die allesamt unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, sicherlich nicht der schönste Zeitpunkt für die ersten großen Triumpfe im Sportlerleben. Noch mehr dürfte den Norweger jedoch stören, dass er trotz seiner Überlegenheit einige wichtige Titel liegen ließ. Begonnen hat dies bereits Anfang Dezember, als der Senkrechtstarter bei der Skiflug-WM um 0,5 Punkte an Karl Geiger scheiterte. Zwar drehte er den Spieß im darauf folgenden Teamfliegen um, so war die Enttäuschung vom Vortag dennoch nicht ganz vergessen. Zwar war auch Einzelsilber der größte Erfolg seiner Karriere, so wusste der selbstbewusste Athlet eben auch, dass Gold möglich gewesen wäre. Umso mehr wollte er den verpassten Triumpf bei der Vierschanzentournee nachholen. Dort präsentierte sich der Norweger jedoch verkrampft und scheiterte an einem fulminanten Kamil Stoch und auch ein wenig an sich selbst. Doch der Überflieger fand sofort zurück in die Spur und brachte sich auch vor dem WM-Auftakt in Oberstdorf klar in die Favoritenrolle. Allerdings ging von der Normalschanze der erste Sprung bei ungünstigen Bedingungen schief, weshalb selbst sein fulminanter Finalsprung nur zu Blech reichte. So blieb mit der Großschanze nur noch eine letzte Chance für den ganz großen Coup. Doch diese verlor er schon im Vorfeld durch seine Corona-Infektion auf die denkbar unglücklichste Art und Weise.
Halvor Egner Granerud beschreibt Wechselbad der Gefühle: „War ein sehr emotionaler Tag für mich“
So kann man schon sagen, dass dieser Halvor Egner Granerud so etwas wie der tragische Held der Weltcupsaison 2020/21 war. Nichts desto trotz sammelte er mit Einzel-Silber und Team-Gold bei der Skiflug-WM und Mixed-Team-Bronze bei der Nordischen Ski-WM tolle Erfolge, auf die er sehr stolz sein kann. Noch mehr kann er dies jedoch mit Sicherheit auf den Gesamtweltcup, der von vielen als wichtigste Trophäe angesehen wird. „Ich glaube, im Leben geht es einfach auf und ab. Das ist wieder ein sehr emotionaler Tag für mich, auch wenn es bereits sehr wahrscheinlich gewesen ist“, erklärte der 26-Jährige bei Instagram. Ein Leben zwischen Leid, Freud, Triumpf und Corona. Eine Kombination, die irgendwie sinnbildlich für den Weltcupwinter ist und die er unter anderem mit Karl Geiger teilt. Im Vergleich zu Geiger, bei dem ein falsches Testergebnis vermutet wird, hat es Granerud jedoch etwas schwerer. „Er hat leichtes Fieber und Magenschmerzen, ein Unwohlgefühl. Er ist ziemlich niedergeschlagen, also körperlich merkt er es schon, dass er wirklich sehr schlecht beieinander ist. Heute war es schon wieder etwas besser, wir müssen einfach die nächsten Tage abwarten und hoffen, dass die Symptome bald weg sind“, berichtete Stöckl gegenüber dem ORF. Noch sind glücklicherweise drei Wochen Zeit, ehe das Weltcupfinale in Planica stattfindet und alle Skisprungfans hoffen natürlich, dass er hier einen gebührenden Abschluss seiner sagenhaften Saison feiern kann.
Granerud auf den Spuren von Freund und Prevc: Wird der Norweger nach den verpassten Triumpfen noch stärker?
Vielleicht hat es für den Norwegern sogar Vorteile, dass er in diesem Winter noch nicht alle Titel abgeräumt hat. So kann zu großer Erfolg eben auch zu schnell kommen und die Vergangenheit hat gezeigt, dass so mancher Springer nach knapp verpassten Triumpfen umso stärker wird. Also Vorbilder können hierbei unter anderem Peter Prevc oder Severin Freund dienen. Allerdings kann es gut sein, dass es mit Seriensiegen im nächsten Winter schwieriger wird. So gelang es in diesem Winter auch keinen anderen Star der Szene konstant seine Leistung zu zeigen. Dies gilt für sogar für Markus Eisenbichler und Kamil Stoch, die trotz Rang zwei und drei in der Gesamtwertung häufig Wellentäler durchliefen. Zudem wird auch mit Stefan Kraft wieder zu rechnen sein, sollte dieser seine körperlichen Probleme in den Griff bekommen. Darüber hinaus wären dann noch Springer wie Marius Lindvik, Ryoyu Kobayashi und Karl Geiger, die sich auch dazu aufmachen werden, Konstanz in ihre Leistungen zu bekommen und im nächsten Jahr die Jagd auf Granerud starten dürften. Trotz allem ist all diesen Athleten bewusst, dass Granerud derzeit das Nonplusultra ist und es eben diesen zu schlagen gilt.