Foto: Konstanze Schneider

Er ist ein Ausnahmekönner seines Faches: Mit 53 Weltcupsiegen, zwei Tourneesiegen und einer gewaltigen Medaillensammlung bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen hat das „Jahrhunderttalent“ das Skispringen über Jahre mitbestimmt. Doch die glorreichen Zeiten des Gregor Schlierenzauers liegen nun schon eine Weile länger zurück. Nach seinem Vize-WM Titel im Jahr 2015 lernte der Österreicher viele der negativen Seiten im Leben eines Spitzensportlers kennen. Doch aufgeben kommt für den ehrgeizigen Sportler nicht in Frage. In Zusammenarbeit mit seinem früheren Weggefährten, Werner Schuster, konnte der krisengeplagte Adler wieder einzelne Highlights setzen und zuletzt sogar bei den österreichischen Meisterschaften gewinnen. Im Interview mit der Zeitung „Der Standard“ erzählte der 30-Jährige nun über seine persönliche Wandlung und seine Zielsetzungen für den nächsten Winter.

Verfolgt man die Karriere von Gregor Schlierenzauer, so könnte man den Eindruck gewinnen, zwei verschiedene Athleten verfolgt zu haben. Auf der einen Seite der ruhige und reflektierte Schlierenzauer, der sich mit akribischer Arbeit zurück in die Weltspitze kämpfen will. Auf der anderen Seite der von unglaublichen Ehrgeiz getriebene junge Überflieger, der mit einer selten gesehenen Leichtigkeit von Weltcupsieg zu Weltcupsieg sprang. Das einzige, dass der Seriensieger damals ganz und gar nicht konnte, war zu verlieren. So betrachtete er selbst zweite Plätze als Niederlage und ließ seinem Ärger freien Lauf. Doch der enorme Anspruch und die zum Teil übertriebene Erwartungshaltung an sich selbst, musste auch er irgendwann Tribut zollen. So geschehen in der Saison 2015/16, die Schlierenzauer vorzeitig abbrach. „Es hat Zeiten gegeben, wo ich von der Energie her am Limit war, wo ich mir auch selbst eine Auszeit genommen habe und verletzt war. Man lernt, dass es eben auch eine Kehrseite der Medaille gibt“, verrät er. Der Österreicher reagierte rechtzeitig und bekam schließlich die Unterstützung, die er zu jener Zeit benötigte. „Ich habe mir professionelle Hilfe von außen genommen, um für mich aufzuarbeiten, was alles in meinen jungen Jahren passiert ist. Es ist ja sehr viel in sehr kurzer Zeit in hoher Intensität auf mich hereingeprasselt, das muss man erst verarbeiten“, so der 53-malige Weltcupsieger. Während der Skispringer noch im den Anschluss kämpft, hat der Mensch Schlierenzauer sein Tief längst hinter sich gelassen. „Natürlich war es sehr herausfordernde Zeit, aber als Mensch habe ich viel mehr mitgenommen als zu Zeiten, in denen ich von Sieg zu Sieg gesprungen bin“. Dementsprechend zeigt sich der Österreicher sogar dankbar, dass seine Karriere nicht nur von Höhen geprägt war. „Wenn man auf das große Ganze schaut, ist das das Wunderschöne, was man im Leben eines Spitzensportlers alles so erfährt. Es ist auch eine Lebensschule, die ich nicht missen möchte“, erkennt er.

Schlierenzauer auf der Suche nach Automatismen und Stabilität

Klar ist aber auch, dass der Ehrgeiz und das Feuer noch immer im ehemaligen Seriensieger brennt. Betrachtet man die Fakten, so hat dieser in der letzten Saison als 20. im Gesamtweltcup zumindest den Anschluss an die erweiterte Weltspitze einigermaßen geschafft. Ein erster Schritt, doch der 30-Jährige benötigt nach einigen Technik-Umstellungen noch immer Zeit, die Automatismen wieder zu perfektionieren. „Es geht speziell um die Ausführung, um das technische Leitbild, wo ich wieder hin muss. Das muss man tagtäglich üben wie einen Tennisschwung, wenn man da gewisse Dinge umstellt, braucht das Zeit. Ich denke, dass ich da von der Idee her gut auf dem Weg bin – aber das ist keine Garantie, dass ich es auch sehr gut umsetzen kann,“ erklärt der zweimalige Tournee-Sieger. Ansätze sind beim Flug-Künstler schon länger zu sehen, sei es beim vierten Platz in Nizhny-Tagil, beim sechsten Platz in Innsbruck oder Rang sieben in Willingen im letzten Winter. Im Sommer konnte er sogar erstmals nach acht Jahren wieder einen österreichischen Meistertitel landen.  „Es ist eine schöne Bestätigung, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Es war doch schon eine Zeit her, dass ich ganz oben gestanden bin.“ Doch bereits kurz nach dem Sieg von der Normalschanze, offenbarte Schlierenzauer mit Platz acht auf der Großschanze zwei altbekannte Probleme. Zum einen, die guten Sprünge von der Normalschanze mit auf große Anlagen zu transportieren und zum anderen, die fehlende Stabilität auf Top-Niveau zu erhalten. Daran gilt es nun bis zum Winter zu arbeiten.

Sprung für Sprung in Richtung Spitze: Schlierenzauer will es nochmal nach oben schaffen

Nachdem Schlierenzauer aufgrund einer hartnäckigen Virus-Infektion im Sommer drei Wochen Trainingszeit verloren hatte, ist zumindest gesundheitlich alles angerichtet. Der Weltcup-Rekordsieger peilt nun den letzten Schritt zur absoluten Spitze an, will jedoch vorerst von Sprung zu Sprung denken. „Wenn man meine Karriere mitverfolgt hat, dann geht es schlussendlich darum, ob ich es noch mal ganz nach oben schaffe oder nicht. Das ist mein Ziel, ganz klar – aber ich weiß auch, dass es nicht so einfach ist und oft auch Glück und ein gewisses Momentum braucht. Ich war letztes Jahr knapp dran, und mir ist es nicht gelungen, den allerletzten Schritt zu gehen. Von dem her steige ich heuer auf die Bremse und sage: Wichtig ist, Sprung für Sprung meine Qualitäten umzusetzen“, beschreibt er. Gelingt Schlierenzauer dieses Vorhaben, wäre dies in erster Linie eine Bestätigung für seinen langen und arbeitsintensiven Weg. Wieder der absolute Held der Öffentlichkeit, wie zu Glanzzeiten zu sein, treibt ihn hingegen kaum an. „Was sind denn schon Helden? Für mich sind Helden die, die schwere Operationen machen, die Leben retten. Natürlich ist der Sport immer sehr kurzfristig. Was man für sich erreicht, das kann einem keiner wegnehmen. Es gab Momente, in denen ganz Österreich extrem emotional war im Skispringen, das muss man genießen und dankbar sein – aber man darf das nicht überbewerten und muss am Boden bleiben“, zeigt er sich reflektiert. Dass seine Zeit als Seriensieger endlich ist, wurde dem Österreicher ohnehin irgendwann bewusst. „Jeder entwickelt sich weiter, es gibt Reglementänderungen, schlussendlich bin ich auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut“, sagt er. Eine Erkenntnis, die eben nur eine Karriere mit Höhen und Tiefen so klar und deutlich offenbaren kann.

Quelle: Der Standard

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