Andreas Wellinger hat die lange Durststrecke der deutschen Mannschaft beendet und sich beim Skifliegen in Vikersund den Sieg im ersten Einzelwettkampf gesichert. Der 29-Jährige sammelte insgesamt 436,1 Punkte und verwies die beiden starken Slowenen Timi Zajc (427,8 Punkte) und Anze Lanisek (422,7 Punkte) in ihrer Paradedisziplin auf die Plätze zwei und drei. Mit diesem Erfolg übernimmt der Ruhpoldinger zugleich auch die Führung in der „Raw-Air“-Gesamtwertung, die sich am morgigen Sonntag entscheiden wird.
„Die Gesamtwertung ist momentan nicht wichtig. Es ist heute ein ganz anderes Skifliegen gewesen, weil der Gegenwind oben einen erstmal rausstellt und wenn dann im Hang Rückenwind ist, kommt es von den Punkten her Plus-Minus Null raus. Aber vom Gefühl her ist es was komplett anderes. Wichtig war heute Spaß zu haben und mit viel Überzeugung zu springen – das habe ich heute gemacht“, strahlte Wellinger im ZDF-Interview und verriet, wie sehr der „Monsterbakken“ in Vikersund seinem Sprungstil dabei entgegen kommt.
„Aus den letzten Wettbewerben konnte ich das Selbstvertrauen und das Gefühl aus dem Anlauf mitnehmen. Wir haben hier zwar ein paar Km/h mehr an Geschwindigkeit, aber am Ende fahren wir in derselben Position dieselbe Spur hinunter. Der Übergang vom Radius ist für mich hier in Vikersund aber auch wie auf den Leib geschnitten.“
Bereits nach dem ersten Durchgang hatte Wellinger mit einer Weite von 228 Metern das Feld angeführt. Hinter ihm folgte der Slowene Timi Zajc (234m) sowie „Holmenkollen-Sieger“ Ryoyu Kobayashi (216m) aus Japan. Domen Prevc (219,5m), der am Vortag im Prolog noch die Nase vorne hatte, musste sich zur Halbzeit mit dem vierten Zwischenrang zufrieden geben, nachdem in der Luft zu viele Korrekturen notwendig waren. Sein slowenischer Landsmann Anze Lanisek (208m) rundete die Top-5 nach dem ersten Durchgang ab.
Im zweiten Durchgang konnte Lanisek mit starken 225m dann noch einmal zum Angriff blasen und auf das Podium springen. Hinter Wellinger (229,5m) und Zajc (208m bei sehr viel Rückenwind) reihte er sich auf dem dritten Platz in der Tageswertung ein. Damit zog er noch an Ryoyu Kobayashi (4.), der seinerseits zweimal auf 216m sprang sowie an Großschanzenweltmeister Domen Prevc (5.) vorbei. Prevc zeigte einen starken zweiten Flug auf 239m, den er allerdings aufgrund einer zu spät eingeleiteten Landung nicht stehen konnte. Der Sturz lief jedoch glimpflich ab. Er konnte direkt wieder aufstehen und aus eigener Kraft den Auslauf verlassen.
Den sechsten Platz sicherte sich „Raw-Air“-Titelverteidiger Stefan Kraft, der nach dem ersten Durchgang noch auf der 12. Position gelegen hatte. Hinter dem Österreicher durften sich auch Gregor Deschwanden (7.), Jan Hörl (8.), Pius Paschke (9.) und Aleksander Zniszczol (10.) über ein Top-10 Resultat freuen. Karl Geiger (11.) verpasste diese am Ende des Tages nur hauchdünn. Dennoch ist weiterhin bei Geiger, aber vor allem auch bei Paschke ein deutlicher Aufschwung gegenüber den letzten Wochen und Monaten zu spüren.
Weltcupleader Daniel Tschofenig (14.) verlor im Kampf um die Weltcupgesamtwertung erneut einige Punkte auf seinen Landsmann Jan Hörl. Dieser Zweikampf um die große Kristallkugel scheint also bis zum Schluss spannend zu bleiben.
Den gelungenen Tag aus deutscher Sicht rundeten Markus Eisenbichler (15.) und Philipp Raimund (20.) ab. Dabei gelang vor allem „Eisei“ bei seiner Abschiedstournee ein starker zweiter Flug auf 219m. Folgerichtig streckte er anschließend im Auslauf auch beide Arme zum Jubeln in die Höhe und genoss danach einen längeren Aufenthalt in der „Leaderbox“.
Probedurchgang der Männer muss für den Damen-Wettkampf weichen
Der ursprünglich für den Nachmittag angesetzte Probedurchgang der Männer in Vikersund musste entfallen, da der Damen-Wettkampf am Vormittag aufgrund von zu hohen Windgeschwindigkeiten nicht regulär beendet werden konnte. Vor dem Sprung der letzten Athletin, Nika Prevc, wurde der Wettbewerb vorzeitig abgebrochen. Aus diesem Grund entschied die Jury, den Wettbewerb der Damen nach der windbedingten Pause auf den Nachmittag zu verlegen und mit einem Durchgang nachzuholen. Durch diese Zeitplanänderung blieb für die Männer kein Raum mehr für einen Probedurchgang, sodass sie ohne einen vorherigen Testsprung direkt in den Wettkampf starten mussten.
Entscheidung in der „Raw-Air“ Gesamtwertung am Sonntag
Die Entscheidung in der „Raw-Air“-Gesamtwertung fällt am morgigen Sonntag. Drei Sprünge stehen in Vikersund noch aus, in denen die Athleten wertvolle Punkte sammeln können: der Prolog sowie die beiden Wertungssprünge im abschließenden Wettkampf. Aufgrund der knappen Abstände bleibt uns die Spannung wohl bis zum letzten Sprung erhalten. Derzeit führt Andreas Wellinger (1003,0 Punkte) vor Ryoyu Kobayashi (987,1 Punkte) und Domen Prevc (971,4 Punkte). Die weiteren Deutschen reihen sich derzeit wie folgt ein: Karl Geiger (6.), Philipp Raimund (13.), Pius Paschke (24.) und Markus Eisenbichler (26.).
Anzug-Skandal weiterhin beherrschendes Thema
Abseits des sportlichen Geschehens bleibt der „Anzug-Skandal“ das beherrschende Thema im Springerlager bzw. um dieses drum herum. „Die Manipulation, die ausgeführt worden ist an den Anzügen der beiden Norwegern, war technisch hochgradig gemacht, d.h. es war von außen nichts am Anzug zu sehen. Ich musste letztendlich den Stoff des Anzuges zerstören, um das zu finden“, fasste Christian Kathol, Kontrolleur des internationalen Skiverbands FIS, im ZDF-Interview die Vorkommnisse zusammen.
Danach wurden zunächst der Cheftrainer sowie zwei Techniker des norwegischen Teams von der FIS suspendiert. Den beiden Skispringern Johann-Andre Forfang und Marius Lindvik ereilte kurze Zeit später das gleiche Schicksal. Die FIS beschlagnahmte daraufhin alle Anzüge, die von norwegischen Athleten bei der Skisprung-WM getragen wurden und stellte weitere Unregelmäßigkeiten fest, die zum Ausschluss von Kristoffer Eriksen Sundal, Robin Pedersen und Robert Johansson führten.
„Ich denke, es war ein starker Schlag für unseren Sport. Wir müssen sehen, dass dieser glaubhaft bleibt“, sprach DSV-Cheftrainer Horngacher den Skisprungfans im ZDF-Interview aus der Seele. Ob der von der FIS eingelegte Weg der Richtige sein wird, wird sich in Zukunft zeigen. Denn nachdem die Anzüge des ganzen Feldes zuletzt von der FIS aufbewahrt wurden und sich die Springer diese erst 30 Minuten vor dem Wettkampf abholen durften (gleiches Zeitfenster gilt im übrigen auch für die Anzug-Rückgabe nach dem Wettkampf) ist nach Vikersund für die nächste Station in Lahti wieder eine „kleine Lockerung“ vorgesehen.
Andreas Bauer, Leiter der FIS Materialkommission, führt hierzu im ZDF-Interview aus: „Die Athleten können durchaus ihre Anzüge mitnehmen. Das werden wir noch entscheiden, aber sie werden auf alle Fälle, so wie in Oslo auch, vorher gecheckt und dann darf man während des Weltcupwochenendes auch nur diesen einen Anzug springen, d.h. die Anzüge sind dann in unserer Obhut, sodass niemand mehr irgendwo etwas zu Hause oder im Hotel machen kann.“
Auf die kritische Nachfrage von ZDF-Moderatorin Lena Kesting, ob dieses System nicht dadurch ausgetrickst wird, dass bei der Weiterreise nach Lahti diese Obhut durch die FIS nicht gegeben sei, weil die Teams/Springer den Transport selbst übernehmen, sagt Bauer: „Nein, sie (die Anzüge) werden dann in Lahti frisch kontrolliert. Also wie gesagt, wir sehen anhand der Chips, welche Anzüge gesprungen werden. Aber wie gesagt, dass müssen wir jetzt abklären. Man kann sich vorstellen, dass es auch logistische Probleme sind, diese Anzüge durch die ganze Welt zu transportieren und von daher müssen wir einfach jetzt Regelungen finden.“