Team Russland wird in Zukunft ohne seinem langjährigen Vorzeigespringer Dmitri Wassiljew auskommen müssen. So viel steht jetzt schon fest. Der 41-Jährige hat im Mai dieses Jahres seine Karriere beendet. In Erinnerung bleibt uns der Weitenjäger, dessen Laufbahn von ebenso viel Höhen wie Tiefen geprägt war natürlich dennoch. Zu nennen wäre seine Halbzeitführung bei den Olympischen Spielen 2006, seine grandiose Saison 2008/09, die er auf dem fünften Gesamtrang beendete und natürlich allem voran sein 254-Meter-Satz in Vikersund, den er leider nicht stehen konnte. In den letzten Jahren schaffte Dmitri Wassiljew den Anschluss vor allem wegen seiner schwerwiegenden Knieproblemen nicht mehr. Wer jetzt aber glaubt, dass sich das russische Skispringen am Boden liegt, dürfte sich täuschen. Tatsächlich stehen gleich mehrere durchaus ambitionierte Springer zur Verfügung.
Das russische Team wird sich ganz besonders auf den immer näher rückenden Saisonstart freuen. Die Saison wird diesmal schließlich im heimischen Nizhny-Tagil eröffnet, was eine tolle Gelegenheit für einen gelungenen Start bietet.
Zwischen Genie und Wahnsinn: Kann Evgeniy Klimov sein Potenzial abrufen?
Das Hauptaugenmerk wird auch im kommenden Winter auf Evgeniy Klimov liegen. Der 27-Jährige schwankt jedoch oftmals zwischen Genie und Wahnsinn und hat in den letzten Jahren eine echte Achterbahnfahrt hinter sich. Auf eine starke Saison 2016/17, folgte eine ernüchternde Saison 2017/18, ehe er 2018/19 wieder auftrumpfte. Die vergangenen beiden Jahre schaffte es Klimov zu selten, sein Potenzial zu offenbaren. Vorhanden ist die zweifellos. Nicht umsonst hat der ehemalige Kombinierer schon einen Weltcup-Sieg und zwei weiter Podestplätze vorzuweisen. Im letzten Jahr glänzte er vor allem bei der Skiflug-WM, bei der er Rang neun belegen konnte und zwischendurch sogar auf Podestkurs lag. Im Weltcup blieb ein siebter Platz in Nizhny-Tagil jedoch seine einzige Top-10-Platzierung. Wie man es von Klimov gewohnt ist, verlief auch sein Sommer eher wechselhaft. Neben seinem zweiten Platz von Chaikovsky, trat er nur in Hinzenbach und Klingenthal in Erscheinung, wo er die Ränge 27 und 36 belegte.
Bei den russischen Meisterschaften zeigte er sich dagegen wieder in Topform und gewann diese. Klimov ist und bleibt eine Wundertüte, die nur schwer einzuschätzen ist. Vielleicht ist es ein Vorteil für ihn, dass der Auftakt in der Heimat stattfindet. Ein gutes Ergebnis zu Beginn ist schließlich immer gut für das Selbstvertrauen.
Nicht nur Klimov: Auch Nazharov, Sadreev und Trofimov könnten Akzente setzen
Die positive Überraschung der Vorsaison war definitiv Mikhail Nazharov. Als 28. der Gesamtwertung landete er sogar vor seinem höher eingeschätzten Teamkollegen, Evgeniy Klimov, der nur 35. wurde. Der 27-Jährige steigerte sich im vergangenen Winter kontinuierlich und erzielte beim Skiflug-Weltcup in Planica als Zwölfter sein bestes Ergebnis. Im Sommer konnte er mit den Rängen 10 und 17 in Wisla sofort an die guten Leistungen des Winters anschließen. Bei den schwächer besetzten Springen in Russland und Kasachstan sprangen dann sogar zwei sechste Ränge raus. Im Herbst sahen wir Nazharov nur noch beim COC in Klingenthal, wo er die Ränge 34 und 7 belegte. Bei den nationalen Titelkämpfen reichte es für den dritten Platz. Für den Springer wird es darum gehen, sich in den Top-30 der Welt festzusetzen und regelmäßig zu punkten. Ob ihm dann noch ein weiterer Schritt nach vorne gelingt, bleibt abzuwarten.
In den letzten Monaten trat neben Klimov und Nazharov noch ein dritter Russe in den Vordergrund. Die Rede ist von Danil Sadreev, der bei den Meisterschaften Rang zwei belegte. Der 18-Jährige ist das größte Talent im Team und dürfte im anstehenden Winter den nächsten Schritt machen. Im vergangenen Winter war ein 25. Platz in Nizhny-Tagil sein bestes Ergebnis. Zudem stehen ein 25. Platz bei der WM in Oberstdorf und ein 31. Platz bei der Skiflug-WM als achtbare Resultate zubuche. Im Sommer steigerte sich das Talent deutlich und zeigte zum Teil spektakuläre Sprünge. Beim SGP in Schuchinsk bot er sogar den Norwegern Paroli und belegte Rang drei. Ein 13. Platz zum Abschluss in Klingenthal zeigte ebenfalls, dass man Sadreev als Newcomer auf der Rechnung haben muss. Regelmäßige Platzierungen unter den besten 30 dürften das erste Ziel für den Athleten sein.
Den besten Sommer des russischen Teams erlebte aber etwas überraschend Roman Sergeevich Trofimov. Der 32-jährige Routinier ist schon seit zahlreichen Jahren mit von der Partie, kam im Weltcup aber nie über einen 23. Rang hinaus. Im Sommer präsentierte er sich dann aber so stark wie nie. Die Ränge fünf und acht in Schuchinsk, Rang neun in Chaikovsky, Platz zehn in Couchevel und Platz zwölf in Wisla sorgten dafür, dass er in der SGP-Gesamtwertung sogar unter den Top-10 landete. Wir dürfen gespannt sein, was uns Trofimov im Winter zu zeigen hat. Die Beispiele Stefan Hula und Jan Matura bewiesen ja, dass man auch jenseits der 30 noch enorme Fortschritte machen kann. Mit dem Quartett Klimov, Nazharov, Sadreev und Trofimov darf man aus russischer Sicht durchaus hoffnungsvoll in den Winter gehen. Neben den vier genannten Springern sind auch weitere bekanntere Namen wie Kornilov, Hazetdinov und Maksimochkin weiterhin aktiv. Ob es für die zweite Reihe aber für den Weltcup reicht, ist eher anzuzweifeln.
Russisches Damen-Team stagniert: Avvakumova mit Außenseiterchancen
Bei den Damen ruhen alle Hoffnungen auf Irina Avvakumova. DIie 30-Jährige hat sich nach zwei schwächeren Wintern in der Saison 2020/21 mit einem siebten Gesamtrang eindrucksvoll zurückgemeldet. Zwar blieb ihr ein Podiumsplatz verwehrt, jedoch konnte sie das mit dem Sieg in Chaikovsky im Sommer nachholen. Im abschließenden SGP von Klingenthal konnte die Russin jedoch als 13. nicht ganz mit der Elite mithalten. Für Avvakumova wird es zweifellos schwer, ganz vorne mitmischen zu können. Springerinnen wie Kramer, Kriznar oder Takanashi sind schlichtweg eine Spur besser und talentierter. Allerdings haben gerade bei den Olympischen Spielen auch immer wider Außenseiter Erfolg. Avvakumova gehört sicherlich zu den sieben, acht weiteren Springerinnen, die für eine Überraschung sorgen könnten.
Abgesehen von Avvakumova stagniert das russische Damen-Skispringen jedoch ziemlich. Im vergangenen Winter war Sofia Tikhonova als 24. des Gesamt-Weltcups die zweitbeste Athletin. Damit blieb die 22-Jährige etwas hinter ihren Ergebnissen der letzten Jahren zurück. Das beste Resultat war zudem nur ein 15. Platz, was beweist, dass auch Ausrutscher nach oben kaum stattfanden. Im Sommer-GP sprang sie in Frenstat und Chaikovsky auf die Plätze zehn, acht und sechs, wobei dort einige Athletinnen fehlten. In Klingenthal reichte es dann nur noch zu Rang 20. Es wäre schon eher überraschend, wenn die stabile, aber nicht überragende Athletin im kommenden Winter die Welt einreißt.
Wenig erfreulich war zuletzt auch die Entwicklung von Anna Shpyneva. Die 19-Jährige glänzte im Jahr 2019 noch mit zwei Top-10-Plätzen im Weltcup und wurde bei der Junioren-WM Fünfte. Seitdem stagniert das wohl größte russische Talent jedoch. Im vergangenen Winter reichte es nur zum 46. Gesamtrang. Immerhin steigerte sich Shpyneva im Sommer etwas und belegte in Chikovsky und Klingenthal die Plätze 14 und 24. Im COC reichte es sogar zweimal für Rang sieben. Da wäre doch anzunehmen, dass es im kommenden Winter wieder etwas besser läuft.
In ähnlichen Sphären bewegt sich die ebenfalls 19-jährige Irma Makhinia. Im letzten Winter konnte sie in Ljubno den 17. Platz erspringen, im Sommer reichte in Chaikovsky für Rang 16.