Als legendäre Super-Adler prägten die österreichischen Skispringer lange Zeit das Weltcup-Geschehen. Mit Gregor Schlierenzauer, Thomas Morgenstern, Andreas Kofler, Wolfgang Loitzl und Martin Koch hatte die Alpenrepublik gleich fünf Adler, die jederzeit um das Podest oder gar den Sieg springen konnten. Im Einzel brandgefährlich und als Team unbezwingbar, sprangen sie um das Jahr 2010 von Sieg zu Sieg und elektrisierten die Fans bei den heimischen Springen. Vor allem der Bergisel in Innsbruck und die Paul-Außerleitner-Schanze in Bischofshofen erwiesen sich als absolute Festungen und ermöglichten den ÖSV-Springern von 2009 bis 2015 sieben Tournee-Siege in Serie. Zwar ist der Nimbus der Unbesiegbarkeit in den letzten Jahren mehr und mehr verschwunden, so zählen die Österreicher noch immer zu den quantitativ und qualitativ besten Nationen im Skisprungzirkus.
Für den Kampf um die Podestplätze musste sich das ÖSV-Team dabei zuletzt aber meist auf Vorflieger Stefan Kraft verlassen. Mit einem Tournee-Sieg, zwei Einzel-Weltmeistertitel, zwei Weltcup-Gesamtsiegen und Bronze bei der Skiflug-WM hielt dieser eindrucksvoll die rot-weiß-rote Flagge hoch. So ist Kraft der einzige Springer im Weltcup, der seit 2014/15 immer unter den Top-10 im Weltcup zu finden war. Sein schlechtestes Abschneiden war ein sechster Gesamtrang in der Saison 2015/16. Trotz allem gibt es ein paar Sorgen um den Dominator des Vorjahrs. So haben sich auch aufgrund vieler weiter Sprünge körperliche Probleme beim 27-Jährigen herausgebildet, die ihm auch im Sommer eingebremst haben. „Ich habe sehr gut trainieren können, bis es mir ziemlich in den Rücken reingeschossen ist. Das war jetzt drei, vier Monate eine etwas schwierigere Zeit, aber es ist wieder am besser werden“, so Kraft. Dieser konnte im Sommer 200-300 Sprünge weniger als seine Kollegen absolvieren und musste das sprungspezifische Krafttraining vernachlässigen. Trotzdem geht der Österreichische optimistisch in die Saison. „Natürlich sind die Spitzenkraftwerte nicht hundertprozentig da, aber die Frage ist, ob es die unbedingt braucht. Die wenigen Sprünge, die ich gemacht habe, haben sich sehr gut angefühlt und ich habe gesehen, dass ich nichts verlernt habe“, versichert er. Im Hinblick auf die lange und kräftezehrende Saison steht der letztjährige Weltcup-Gesamtsieger dennoch vor einigen Fragezeichen. „Die Frage ist, wie sich das langfristig auswirkt, weil die Regeneration im Winter kürzer ist. Normalerweise habe ich mir über das Krafttraining ein stabiles Fundament aufgebaut, damit ich auch im Februar topfit bin. Das ist natürlich alles ein wenig ungewiss“, gibt er zu bedenken. Klar ist aber auch: Ein Stefan Kraft gibt nicht auf und wird, solange der Körper stabil bleibt, auch in der kommenden Saison zur absoluten Elite zählen.
Der lange Weg von Gregor Schlierenzauer: „Sehe mich noch immer in einem Entwicklungsjahr“
Zur absoluten Elite will bald auch wieder Gregor Schlierenzauer zählen. Nach seinem 20. Platz im letztjährigen Gesamtweltcup soll in der kommenden Saison der nächste Schritt folgen. Bei den österreichischen Meisterschaften überraschte Schlierenzauer bereits mit dem Titel von der Normalschanze, wenngleich der Weg zurück in die Weltelite dennoch ein weiter bleibt. „Ich sehe mich noch immer in einem Entwicklungsjahr. Ich habe einen guten Grundsprung, den ich konstant zeigen und daran wachsen muss, um dann auch die letzten Details herauszukratzen“, so Schlierenzauer. Diese Details liegen vor allem im Absprung-Übergang begraben, der letztlich zu großen Teilen mitentscheidet, ob ein Sprung läuft oder nicht.“ In den letzten Wochen habe ich sehr viel Augenmerk auf den Absprung gelegt und darauf, diesen mit der ersten Flugphase zu verbinden. Skispringen ist eine Präzisionsarbeit, bei der man sehr genau arbeiten muss. Mein Sprung lebt von der Verbindung und das ist ein Punkt, bei dem ich dabei bin, das besser zu machen“, erklärt er. Zu hohe Ziele möchte sich der 30-Jährige allerdings erstmal nicht setzen. „Ich erwarte mir speziell am Anfang und in Wisla, wo ich nie so zurechtgekommen bin, relativ wenig. Ich würde aber schon gerne in den Top-15 anfangen und mich dann von Sprung weiterentwickeln“, versichert er. Vor allem aber zeigt er sich glücklich, in schwierigen Zeiten wie diesen überhaupt von den Schanzen segeln zu dürfen. „Wir sind privilegiert, unseren Sport ausüben zu dürfen und ich bin dankbar, dass es Wettkämpfe gibt und wir hoffentlich schöne Momente und Emotionen erleben dürfen“, gibt er sich demütig.
Auf den Weg in Richtung Weltspitze: Aschenwald will ersten Weltcupsieg
Einen schönen Moment mit vielen Emotionen hat im Sommer auch Phillip Aschenwald erlebt. Dieser gewann nämlich den Staatsmeister-Titel in Bischofshofen und möchte auch im Winter angreifen. „Den österreichischen Meistertitel zu gewinnen, war keine ‚gmade Wiesn‘ und schon ein großes Ziel für mich“, freut sich dieser. Nachdem der 25-Jährige im letzten Jahr als Gesamt-Zehnter seine mit Abstand beste Saison sprang, soll es dieses Jahr noch höher hinausgehen. „Ich fühle mich sehr gut, habe mich über die letzten Jahren vor allem flugtechnisch entwickelt und auch jetzt im Sommer ist wieder sehr viel weitergegangen“, so Aschenwald. Dessen Hauptaugenmerk liegt nun darauf, weiter an Konstanz zu gewinnen. „Ich will, dass die guten Sprünge noch besser werden, aber auch die schlechteren Sprünge auf einem höheren Niveau stattfinden. Daran habe ich viel gearbeitet und sehe mich auf einen guten Weg“, so der letztjährige Zweitplatzierte von Ruka. Demnach soll in der kommenden Saison der nächste Schritt folgen. „Es ist schon ein Ziel Siegspringer zu werden, denn ein Weltcup-Sieg fehlt mir noch. Das ist aber ein großes Ziel, dass man auch nicht erzwingen kann. Deshalb will ich bei mir bleiben und mir keinen Druck machen“, verrät er. Sollte Kraft aufgrund seiner körperlichen Probleme schwächeln, läge es wohl an Aschenwald, die österreichische Fahne hochzuhalten. Gemäß seiner attestierten guten Trainingsleistungen, ist ihm dies aber auch absolut zuzutrauen.
Auf dem Weg zu Alter Form? Noch gibt es ein paar Fragezeichen um Michael Hayböck
Konträr zum aufstrebenden Phillip Aschenwald verliefen die letzten Jahre für Michael Hayböck alles andere als rund. Nachdem der 29-Jährige zuletzt dreimal infolge die Top-20 des Gesamtweltcups verpasst hatte, sieht er sich nun aber wieder auf dem richtigen Weg. „Ich fühle mich körperlich so, dass wieder um einiges mehr möglich ist. Auch auf der Schanze haben sich die Dinge weiterentwickelt. Es ist trotzdem noch ein Weg, dorthin zurückzukommen, wo ich schon einmal war. Das hieße Top-10 und regelmäßige Podestplätze. Ich muss geduldig weiterarbeiten und dran bleiben“, so Hayböck. Problematisch war bei diesem immer wieder die Phase nach dem Absprung. Hierbei stößt der Athlet häufig auf ein Fehlerbild, bei dem seine Ski nach der Kante einen negativen Anstellwinkel aufweisen und sozusagen Richtung Hang zeigen. „Ich bin der einzige Springer, der damit überhaupt einigermaßen runter kommt, aber mir ist klar, dass das nicht für Top-Ergebnisse oder Sieger reichen wird. Ich will meine Technik stabilisieren, damit das nicht passiert. Wenn der Ski flach rauskommt, ist das perfekt, aber sobald er negativ rauskommt, habe ich eine Pause am Vorbau und das kostet Höhe und Geschwindigkeit. Der Sprung muss bei mir so laufen, dass ich unten schnell werde, dann komme ich auf meine Meter“, erklärt der Tournee-Zweite aus dem Jahr 2015. Für den anstehenden Winter ist der gebürtige Linzer eine kleine Wundertüte. Während es im Sommer, wie zum Beispiel mit Silber bei den nationalen Meisterschaften oft sehr gut lief, so betrachtet er die letzten Wochen als eher zäh. Dieses auf- und ab wird ihn womöglich auch durch den Winter begleiten. Für punktuelle Spitzenresultate bleibt Hayböck jedoch immer ein Anwärter.
Mit positiver Körpersprache in Richtung Top-15? Huber will aus seinen Fehlern lernen
Auf ähnlichem Level wie Hayböck, war in den letzten Jahren auch Daniel Huber unterwegs, wenngleich er im Gegensatz zu seinem prominenteren Kollegen zuletzt unter den besten 20 im Gesamtweltcup stand. Ein stabiles Fundament, dass sich der 27-Jährige zu Nutzen machen möchte, um oben anzugreifen. „Mir geht es sehr gut, bin körperlich top vorbereitet und habe ein gutes Gefühl. Jetzt möchte ich einen weiteren Schritt machen und auch an der Konstanz und Stabilität arbeiten. Mein erster Weltcupsieg ist natürlich ein großes Ziel. Das ist zwar ein großer, aber möglicher Schritt. Im Gesamtweltcup will ich die Top-15 anpeilen, auch wenn die Luft da oben in der Spitze natürlich dünner wird“, erklärt er. In den letzten Jahren hatte der Österreicher immer wieder Probleme damit, zu viel zu wollen und dabei zu verkrampfen. „Ich wollte es oft im zweiten Durchgang erzwingen und dann von Platz sieben acht noch hoch aufs Stockerl springen. Nun möchte ich geduldig sein und bei den technischen Aspekten bleiben. Für mich geht es auch sehr um eine positive Körpersprache“, so Huber. Dieser spricht dem mentalen Bereich im Bezug auf die Leistung eine Bedeutung von 40 % zu, während der körperliche und technische Aspekt nur bei je 30 % liegen. Dies sei, wie Huber erklärt, jedoch bei jedem Springer unterschiedlich.
„Eine Saison ist kein Sprint, sondern ein Marathon“: Hörl gesteht Probleme nach seinem ersten Podestplatz in Engelberg
Für Jan Hörl, dem Youngstar im ÖSV-Team, wurden im letzten Jahr genau diese 40 % zum Verhängnis. So erlebte dieser im letzten Winter einen tollen Saisonstart, baute nach einem überraschenden Podestplatz in Engelberg jedoch deutlich ab. „Es war ein sehr guter Start und das Stockerl in Engelberg war überragend. Von da an habe gewusst, wo die Reise hingehen kann. Manchmal ist es aber besser, die Ziele Schritt für Schritt zu erreichen. Eine Saison ist kein Sprint, sondern ein Marathon und ich wollte danach alles auf einmal zerreißen und da ist es nicht leicht, wieder rauszukommen. Das war eine schwere Zeit, aber dadurch bin ich eine Erfahrung reifer“, so der 22-Jährige. Wenngleich er im Vorjahr ein Stück weit an seiner hohen Erwartungshaltung gescheitert sei, so hegt er dennoch große Ambitionen im Hinblick auf den kommenden Winter. „Ich bin körperlich in Topform. Wenn ich dabei bin, möchte ich schon Gas geben, das ist mein Naturell. Deshalb würde ich schon gerne ein Stockerlplatz machen“, zeigt er sich ehrgeizig. Dabei verlief die Vorbereitung anfangs alles andere als rund. „Es war kein einfacher Sommer und ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass ich richtig kämpfen musste. Es war schwer, ein Set-Up zu finden, das für mich passt. Zum Glück ist mir ein Geistesblitz eingefallen, der mir dann sehr geholfen hat“, verrät er.
Mit breiter Mannschaft und neuem Trainer zurück zu alter Stärke? : „Nationencup ist natürlich ein Ziel“
Inwiefern sich dieser Gedankenblitz von Hörl auf gute Resultate im Winter auswirkt, muss man jedoch abwarten. Zwar ist dieser derzeit wohl das größte österreichische Talent, so scharren auch in der zweiten Reihe einige ambitionierte Springer mit den Hufen. „Der Junioren Weltmeister Peter Resinger und auch David Haag und sind junge Springer, die schon ganz gut sind und ihren Weg mit Sicherheit machen werden. Markus Schiffner ist im Sommer sehr gut gesprungen und auch Clemens Leitner war zuletzt gut unterwegs“, verrät ÖSV-Trainer Andreas Widhölzl. Dieser hatte im Frühjahr ein wenig überraschend das Zepter von Andreas Felder übernommen und blickt zufrieden auf seine ersten Monate als Cheftrainer zurück. „Die Entwicklung ist sehr positiv. Die Vorbereitung war anderes, aber anders ist ja nicht unbedingt schlecht. Die Springer haben die erste Phase individuell gestalten und dann unsere Kurse ganz normal machen können. Wir hatten die Möglichkeit, Trainingsstätte zu nutzen, konnten zuletzt Trainingssprünge auf der Eisspur von Innsbruck machen, freuen uns jetzt auf den Start“, zeigt er sich zuversichtlich. Nachdem die Österreicher den Kampf um den Nationencup im Vorjahr noch knapp gegen die Deutschen verloren hatte, so möchte Widhölzl das Blatt nun wenden. „Der Nationencup ist auch ein großes Ziel, da er die Dichte der Mannschaft widerspiegelt, aber bis dahin ist ein langer Weg. Da müssen wir bis zum Schluss die Leistung bringen“, erklärt er. Dies möchte Widhölzl möglich machen, indem vor allem die Stärken der Springer gefördert werden. Zudem soll eine gute Team-Chemie und ein ehrlicher und konsequenter Austausch auf Augenhöhe Problemen vorbeugen. „Ich möchte, dass jeder Springer weiß, dass er jederzeit zum Trainerteam kommen und Probleme ansprechen kann und diese nicht ins Hotel mitgenommen werden“, erklärt der ÖSV-Coach. Wie erfolgreich die Zusammenarbeit zwischen Widhölzl und den Springern zukünftig sein wird, bleibt abzuwarten. Rufen die Springer jedoch ihr Potenzial ab, so ist vieles möglich. Unter anderem auch der 19. Nationencup-Titel für das erfolgreichste Land der Skisprung-Geschichte.
Quelle: ÖSV-Pressekonferenz vom 16. November, 2020